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Archiv-Artikel

Besorgte Blicke nach Asien

Langsam sickert das Ausmaß der Katastrophe, die das Seebeben im Indischen Ozean auslöste, auch in Berlin ins Bewusstsein. Die Sorge um Angehörige ist groß. Geld statt Böller ist das Gebot der Stunde

VON ULRIKE LINZER UND WALTRAUD SCHWAB

Im Roten Rathaus ist es ruhig. Bilder verstörter und geschockter Urlauber kommen aus Frankfurt. Noch nicht aus der Hauptstadt. Berlin wartet ab. „Die Bundesregierung koordiniert die Hilfseinsätze, es ist wichtig, dass eine Stelle den Überblick hat. Wenn wir gebraucht werden, werden wir helfen“, sagt Günter Kolodziej, stellvertretender Senatssprecher. Helfen sei zunächst Bundessache. Berlins Beitrag? Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) schließt sich der Bitte Außenminister Fischers an: Spende statt Böller. Dieses Silvester solle das Geld für die Knaller lieber für die Hilfe in der Krisenregion gespendet werden. Nach Einschätzung der UNO ist dies die größte Naturkatastrophe aller Zeiten.

Berliner Opfer der Flutkatastrophe sind bisher nicht bekannt. Ausschließen lässt sich dies bei den ständig steigenden Zahlen der Toten jedoch nicht. Die Schätzungen von umgekommenen Deutschen in Katastrophengebieten in Südostasien seien bisher zu niedrig angesetzt, meint Nadine Holland vom Reisebüro Titantic-Reisen am Südstern. „Wir haben sehr viele Buchungen für diese Regionen gehabt.“ Flüge nach Thailand waren in der Vorweihnachtszeit restlos ausverkauft. Bei den Pauschaltouristen könne möglicherweise noch durch die Reiseveranstalter nachvollzogen werden, wer vermisst wird. Bei den Individualtouristen sei dies nahezu unmöglich. Dabei fahren sehr viele Leute auf eigene Faust in diese Regionen. „Man kann dort an schönen Stränden exklusiv und dennoch günstig Urlaub machen.“ Oder soll sie sagen „konnte“, da die Infrastruktur entlang der Küsten kilometerweit zerstört zu sein scheint?

Sie selbst habe ein befreundetes Paar, das in Phuket war, als die Flut hereinbrach. Der Mann konnte sich an eine Palme klammern, seine Freundin sei vom Wasser mitgerissen worden. Von einem Lastwagen aus, der noch Halt in den Fluten hatte, griff jemand nach ihr und zog sie heraus. Jetzt seien die beiden in Bangkok und stünden noch immer unter Schock.

Die Betroffenheit in den Reisebüros ist groß. „Wir wissen, was das für den Tourismus bedeutet. Es ist wie bei jeder großen Katastrophe, sei es der 11. 9., Epidemien wie Sars oder vor kurzem das Attentat in Bali“, meint eine Mitarbeiterin des Reisebüros im Willy-Brandt-Haus. Deshalb gäbe es nun viele Stornierungen. Einige Büros aber erhalten auch Anfragen von Leuten, die sich um das Wohlergehen von Freunden sorgen, die in Thailand oder Sri Lanka Urlaub machen, aber nicht in Kontakt kommen mit ihnen.

In Kontakt kommen, das hat für die in Berlin lebenden etwa 20.000 Menschen aus Thailand, Sri Lanka, Indien und Indonesien oberste Priorität. Angst um die Angehörigen treibt sie um. Deshalb stehen die Telefone der Botschaften nicht mehr still. Angehörige wollen wissen, wie es ihren Familien und Freunden geht. Gestern haben die Botschaften daher in allen Ländern Kontakttelefone, aber auch Spendenkonten eingerichtet. „Wegen der Feiertage kommt alles sehr langsam in die Gänge“, meint Arcot Shanmuga Sunderam vom Tamilischen Kulturzentrum.

Schafft es jemand, mit der Heimat Kontakt aufzunehmen, informiert er auch an seine Landsleute in Berlin. „Wie mit einer Telefonkette benachrichtigen wir die anderen Berliner Indonesier, was wir erfahren haben“, erzählt Amrullah Fahmi. Seine Frau und zwei Kinder sind seit fünf Monaten in Aceh, gestern Mittag hat er ein Lebenszeichen erhalten. „Endlich habe ich eine SMS von meiner Frau bekommen. Durch Chatten hatte ich vorher schon von meiner Schwiegermutter erfahren, dass meine Frau und die Kinder gesund sind“, sagt Fahmi. Sein Bruder werde aber noch vermisst.

So schnell wie möglich will Fahmi in seine Heimat fliegen und vor Ort helfen. Er ist einer von ungefähr 600 indonesischen Studenten in Berlin. Jetzt wollen sie Leute mobilisieren und Geld sammeln. Aber es sei sehr teuer, Überweisungen nach Indonesien zu machen, erklärt er. „Deshalb möchten wir ein Spendenkonto einrichten und eine deutschlandweite Sammelaktion starten.“

Die Botschaft von Sri Lanka will neben Geld auch Medikamente, Zelte, Decken und Lebensmittel in die Flutregion schicken. „Da es von Berlin keine Direktflüge nach Sri Lanka gibt, müssen wir erst einen Transport nach Frankfurt organisieren“, sagt Botschaftssprecher Kapila Fonsige. Deutsche Hilfsorganisationen allerdings sprechen sich derzeit noch gegen Sachspenden aus, da die Transportkosten sehr hoch seien. Lieber Geld spenden, bittet eine Sprecherin des Berliner Roten Kreuzes.

Eine symbolische Beisetzung der Flutopfer organisiert der buddhistische Tempel in Wittenau. Am 31. Dezember um 18 Uhr wird mit einer Meditation der Toten gedacht. „Unsere Andacht gilt Opfern aus allen Ländern und Regionen“, erzählt ein Berater des Abtes.