: Nirgendwo ist Sicherheit
Exodus aus Afrika, Teil 3: Ankunft in ItalienHunderttausende Afrikaner wollen nach Europa emigrieren, obwohl ihnen der Weg verwehrt wird. In einer dreiteiligen Reportagereihe beschreiben taz-Korrespondenten die oft abenteuerlichen Wege, auf denen die Einwanderer die Sperren unterlaufen
AUS ROM MICHAEL BRAUN
„Normalität? Die ganze Zeit seit meiner Ankunft in Italien habe ich nicht wirklich Normalität kennen gelernt. Ich bin seit 2002 hier, aber ich habe immer noch keine Antwort auf meinen Asylantrag.“ Wani ist Ende zwanzig, ein kleiner, zierlicher Mann, der aus dem Sudan stammt. „Solange der in Bearbeitung ist, kriege ich null Unterstützung, zugleich darf ich aber auch nicht arbeiten. Das heißt: Der italienische Staat zwingt mich zur Schwarzarbeit und dazu, in irgendwelchen leer stehenden Abbruchhäusern zu schlafen.“
Wani schließt seine Situationsbeschreibung mit einem Schulterzucken, dann bricht es aus ihm hervor. „So schlecht unsere Lage ist – bisher ging es noch halbwegs. Aber in den letzten Monaten fühlen wir Flüchtlinge uns wirklich unsicher in Italien.“ Den Grund der Unsicherheit hat er schnell benannt: Italiens neuen, harten Kurs im Umgang mit denen, die versuchen, übers Mittelmeer ins Land zu kommen. Und Libyens aktive Mithilfe bei dieser Abschreckungspolitik, die im Oktober in der sofortigen Massenabschiebung von über 1.000 Neuankömmlingen Richtung Tripolis gipfelte.
Mohammed Abdul Gassim nickt finster. Er, ein paar Jahre älter als Wani und einen Kopf größer, hat seinen sudanesischen Landsmann erst in Rom kennen gelernt, in einem von Ausländern besetzten Eisenbahndepot, und auch er benutzt immer wieder das Wort Unsicherheit. Sein Asylantrag ist schon abgelehnt, er kann sich nur auf die einstweilen ausgesprochene humanitäre Duldung verlassen. Die Regierung Berlusconi tue so, als kämen Menschen wie er ohne Not übers Mittelmeer, als setzten sie sich tödlichen Risiken aus, bloß weil Schleuserbanden mit ihrem Angebot erst die Nachfrage schafften.
Ihre Geschichten wollen die beiden dagegensetzen – Geschichten der Flucht vor Krieg und Verfolgung. Mohammed hatte es eigentlich gut im Sudan: Er kickte als Profi-Fußballer für ein Militärteam. Nicht zuletzt ersparte ihm das den Dienst an der Waffe. Doch dann, 1993, wurde dieses Privileg gestrichen: „Auch wir Fußballer wurden nun zum regulären Militärdienst herangezogen. Das hieß auch: Wir mussten in den Krieg, und deshalb bin ich aus Khartum geflohen.“
Zunächst ging Mohammed 1995 zurück in seine Heimatregion Darfur, wo er sieben Jahre unbehelligt lebte. Doch dann, erzählt er, begann dort der Terror der islamischen Reitermilizen gegen die schwarze Bevölkerung, wurde auch sein Dorf überfallen, wurden dort zahlreiche Menschen ermordet. Da habe er sich mit einigen anderen wieder auf die Flucht gemacht, Richtung Libyen. Nach zweitägigem Fußmarsch fanden sie schließlich Schleuser, die bereit waren, sie mit dem Auto durch die Wüste zu fahren.
Eine Reise, die für viele tödlich endet: „Oft kommt es zum Beispiel vor, dass die Leute den Weg durch die Wüste nicht kennen, dass sie sich heillos verfahren, dass sie am Ende wegen Benzinmangel stehen bleiben und elend verdursten. Ich hatte Glück, ich hab's geschafft, aber viele Freunde sind in der Wüste gestorben.“
Wani dagegen stammt aus dem christlichen Südsudan. In Khartum hatte er sich während seiner Schulzeit einer Vereinigung junger Christen angeschlossen. Kein Problem – bis der Staatspräsident auf Schulbesuch kam. „Dort sprach er dann über den Dschihad, und wir protestierten, weil er natürlich den Dschihad im Süden des Sudans meinte. Danach musste ich, ebenso wie meine Freunde, fliehen, weil uns die Verhaftung drohte.“
Wanis erste Etappe war der Tschad. Dort erhielt er Asyl. Als aber zwei seiner Landsleute verhaftet und wieder in den Sudan abgeschoben wurden, beschloss er im Jahr 2000, in das nördlich angrenzende Libyen zu gehen. Zwei Jahre habe er dort gelebt, nahe der Hauptstadt Tripolis, als Illegaler. „Ich arbeitete in den zwei Jahren schwarz, für libysche Arbeitgeber, auf dem Markt zum Beispiel. Wenn die für einen Arbeitstag regulär 30 Dinar zahlten, dann kriegten wir Sudanesen bloß 15, das ist genauso wie jetzt auf den Feldern in Italien.“
Rassismus gegen Schwarzafrikaner sei eine alltägliche Erfahrung in Libyen, meint Wani. „Gaddafi ist ziemlich durchgeknallt, mal gab er den arabischen Führer, mal sprach er von afrikanischer Einheit, das wechselte laufend. Wir haben uns jedenfalls in Libyen nicht willkommen gefühlt.“ Schlimmer aber noch sei, dass die Regierung oft die Stimmung anheizte. Schon im Jahr 2000 gab es massive Ausschreitungen gegen Schwarze, mit mehreren Toten. „Es war bezeichnend, dass die Polizei den Bürgern völlig freie Hand ließ, als es zu den Ausschreitungen gegen uns Schwarze kam.“
Wenn überhaupt, dann sei die Polizei gegen die Afrikaner eingeschritten, die sich zu verteidigen suchten, nie aber gegen die Libyer, die angriffen. „Ich habe da einen großen Hass auf die Libyer entwickelt. Ich rufe heute noch ab und zu Landsleute an, die noch in Libyen sind, und die schildern ihre Situation auch heute als sehr schwierig.“
Wani jedenfalls beschloss, sich nach Italien aufzumachen. Über Kontaktpersonen kam er an die Schlepper, die 1.000 Dollar für die Passage nach Sizilien verlangten – für die Fahrt auf einem nicht hochseetüchtigen Kahn. „Meine Schiffsreise von Libyen nach Italien war sehr gefährlich. Wir waren auf einem einfachen, offenen Holzkahn, mit 56 Leuten, und wir hatten teils sehr heftigen Seegang. Der Boss an Bord war ein Libyer, und auch der, der die Reise organisiert hatte, war ein Libyer. Wir waren insgesamt drei Tage auf See, und am letzten Tag gingen dann die Speise- und Wasservorräte zu Ende, etwa zehn Stunden vor Ankunft.“
Im gleichen Sommer machte sich auch Mohammed auf den Weg übers Mittelmeer. Seine Reise allerdings führte ihn erst einmal nach Izmir, auf einem Handelsschiff, „das war nicht besonders gefährlich“, aber dann, vom türkischen Izmir Richtung Italien, ging es drei Tage später weiter auf einem kleinen Fischkutter, auf dem etwa 200 Personen zusammengepfercht waren. Am 23. Juni 2002 schließlich kam Mohammed in Lampedusa an.
Er durchlief die übliche Prozedur: ein paar Wochen im Notaufnahmelager, der Asylantrag, schließlich die Weiterreise auf eigene Faust nach Rom. Wani nickt bloß; er hat die gleichen Etappen hinter sich. Und er hatte die gleiche Hoffnung vor sich: Asyl, oder zumindest nach der Duldung eine reguläre Aufenthaltserlaubnis – kurz: endlich Sicherheit. „Aber Sicherheit gibt es für uns nicht.“ Auf Wanis Gesicht liegt ein resigniertes Lächeln.