CANNESCANNES 4Dichterin der Romantik

Bei der Pressekonferenz in Cannes: An die Juryvorsitzende Isabelle Huppert geht die Frage nach der Geschlechterpräsenz. Huppert antwortet souverän, obwohl Frauen für nur drei von zwanzig Wettbewerbsfilmen verantwortlich zeichnen.

Eine der Regisseurinnen ist die Neuseeländerin Jane Campion. Sie stellte gestern Abend „Bright Star“ vor, eine australisch-britische Koproduktion, in der es um die historisch verbürgte Liebe der jungen Fanny Brawne (Abbie Cornish) zu dem Dichter John Keats (Ben Whishaw) geht. Schauplatz ist das England des frühen 19. Jahrhunderts. Weil Keats kein Geld hat, kann er die aus gutem Hause stammende Brawne nicht heiraten. Die Hindernisse stacheln die Leidenschaft der beiden an. Als Brawnes Mutter endlich in die Verlobung einwilligt, ist es zu spät. Keats ist an Tuberkulose erkrankt und stirbt.

Das ist das Gerüst, aber nicht das Wesentliche des Filmes. Campion legt wenig Wert auf das Voranschreiten der Handlung. Stattdessen weidet sich „Bright Star“ an den Darstellern, den Kostümen, der Fliederblüte und am vorweihnachtlichen Schneefall. Einmal erhält Brawne einen Brief Keats’, in dem er von Schmetterlingen schreibt, im Folgenden fangen sie und ihre kleinen Geschwister mit Köchern Schmetterlinge. Die Szene hat etwas von einem lichtdurchfluteten Traum. Ihr dunkles Echo erklingt eine Weile später, wenn die Schmetterlinge wie welke Blätter in Brawnes Zimmer liegen. Der ländlich-idyllische Vorort Londons, in dem der größte Teil des Filmes spielt, steht in scharfem Kontrast zu der bereits von der Industrialisierung gezeichneten Stadt. Die Dichter der Romantik wollten nicht hinnehmen, dass die Ökonomisierung die Welt entzauberte. „Bright Star“ möchte den Zauber wiederherstellen. CRISTINA NORD