Am besten ohne Kaugummi

Von der Lust am Laster und der Last mit dem Aufhören: Mit „Nikotin Blues“ gelingt Arte mal wieder eine so unterhaltsame wie ehrliche Doku-Soap (ab Mo., 3. 1., 20.15 Uhr)

Einfach aufhören, sagt Jörg, der Diplompädagoge mit dem Diplompädagogenzopf. Ab heute. Am besten ohne Kaugummis. Die Therapiegruppe ist schockiert. Und wo bleiben die genialen Expertentipps, wo sind die tollen Weisheiten, die einem über den Schmacht helfen?

Wo Rauch ist, sind auch Raucher. In den letzten Jahren tummeln die sich allerdings verstärkt auf klitzekleinen Balkons, in zugigen Hausfluren und zu Hause. Denn seit die findigen Amis entdeckt haben, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist, schwappt die Kampagne gegen das legalste aller gesundheitsschädlichen Laster mit Macht nach Europa rüber, und Abgewöhnungsseminare haben Hochkonjunktur. Auch Sigrun Matthiesens und Peter Behles Doku-Soap „Nikotin Blues“ handelt von einem solchen Seminar: Es fand in Berlin statt, und zwölf TeilnehmerInnen zwischen 21 und 79 haben versucht, sich dort ihrer Sucht zu entledigen. Wie schädlich das Rauchen ist, gesundheitlich, finanziell und neuerdings auch gesellschaftlich, wissen selbstverständlich alle aus dem Effeff. Die Dokumentation zeigt die schwere Marschroute vom Willen zum Weg, von der Entscheidung zur Durchführung. Und das tut sie unterhaltsam, ehrlich und unprätentiös: Wenn man mit BerlinerInnen dreht, kriegt man gratis genug schlaue und bauernschlaue Sprüche gekloppt, um den Off-Text getrost weglassen zu können. Stattdessen haben die FilmemacherInnen die Therapiewilligen begleitet, auch in ihr Privatleben, haben sie und ihre Umgebung zu der Sucht befragt – einsichtig sind natürlich alle. Gründe gibt es so viele, wie es Zigarettenmarken gibt.

„Nikotin Blues“ ist aber keine reine Erfolgsgeschichte: Christian, der wegen seiner Sucht alle zwei Wochen nach Polen fährt und billige Stangen einkauft, bleibt den Treffen irgendwann mit der fadenscheinigen Erklärung fern, er würde lieber „selber aufhören“, die bärbeißig-sympathische Oma Ulla mag sich nicht von ihren Notzichten in der Handtasche trennen, Giannina, deren clevere, zehnjährige Tochter ihr jeden Tag die Nebenwirkungen auf den Packungen vorbetet, hat trotzdem Schwierigkeiten. Und die Lehrerin Eva hat Sorge, sich ohne regelmäßigen Glimmstängel überhaupt nicht mehr konzentrieren und darum ihre Arbeit nicht ausüben zu können. Physisch meistern die meisten das Aufhören trotzdem erstaunlich gut, wenn nur die Gewohnheit nicht wäre …

Über die Bilder der schnatternden SeminarteilnehmerInnen singt der starke Raucher (und übrigens an Krebs gestorbene) Tex Williams lakonisch: „Smoke, smoke, smoke that cigarette, puff, puff, puff until you smoke yourself to death“. Eine Kneipe ohne Aschenbecher kann man sich trotzdem nicht vorstellen. Das wäre wie ein Stück Käsekuchen ohne Sahne. JENNI ZYLKA