: Das Bundesverfassungsgericht spielt Postbote
Karlsruhe sorgt dafür, dass ein Häftling eine Broschüre der Aids-Hilfe erhält – mit drei Jahren Verspätung
FREIBURG taz ■ Eine Strafanstalt muss rechtliche Informationen an Häftlinge aushändigen, auch wenn diese anschließend verstärkt Beschwerden einlegen. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem gestern bekannt gemachten Beschluss. Für Strafgefangene ist es seit langem ein Übel, dass ihnen Rechtshilfebroschüren oftmals durch die Anstaltsleitungen vorenthalten werden.
Kläger war Professor Johannes Feest, der das Strafvollzugsarchiv an der Universität Bremen leitet. Sein Archiv sandte vor drei Jahren die von der Aidshilfe herausgegebene Broschüre „Positiv in Haft“ an einen Gefangenen in Straubing. Doch die dortige Haftanstalt beanstandete die 128-seitige Broschüre, die in einem rechtlichen Teil auch zahlreiche „Musteranträge“ enthielt. Die Informationen könnten die Häftlinge zu einer „missbräuchlichen Handhabung des Beschwerderechts“ veranlassen. Das Landgericht Regensburg bestätigte die Beschlagnahme, vor allem weil die Broschüre in einer Passage den Eindruck erwecken könne, die Flucht aus der Haft sei eine richtige Handlungsweise.
Das Bundesverfassungsgericht sah dies nun durchweg anders. Wenn ein Gefangener in „sachlicher, vollständiger und juristisch vertretbarer Weise“ in einer Broschüre über seine Rechte informiert werde, stelle dies generell keine Gefahr für den Strafvollzug dar. Zwar mache die Information von Häftlingen das Einlegen von Beschwerden wahrscheinlicher und erzeuge so für die Anstalt zusätzlichen Arbeitsaufwand. Doch sei dies keine Rechtfertigung, um die Informationsfreiheit der Häftlinge einzuschränken. Außerdem habe die Broschüre die Flucht aus der Haft nicht befürwortet, sondern lediglich diskutiert, ob Flucht bestraft werden muss. Wenn die Haftanstalt diese Passage für vollzugsfeindlich halte, so die Richter, hätte es genügt, den Abschnitt zu schwärzen. (Az.: 2 BvR 2219/01) CHRISTIAN RATH