: Die Flut und die Macht der Militärs
Strategische Interessen und humanitäre Hilfe: Die Unterstützung für die Katastrophenregion Aceh könnte die indonesische Armee stärken oder zivilisieren
Wenn in der indonesischen Krisenregion Aceh etwa 100.000 Menschen durch Erdbeben und Flut getötet wurden und weitere 500.000 sterben könnten, ist jede schnelle Unterstützung wichtig, egal ob sie von Zivilisten oder Soldaten kommt. Das ändert nichts daran, dass diese Hilfe auch machtpolitische Folgen hat.
So ist zu berücksichtigen, dass die Region Aceh trotz ihrer Randlage im indonesischen Archipel strategisch wichtig ist. Das rohstoffreiche Bürgerkriegsgebiet und seine mehr als vier Millionen Einwohner werden vom indonesischen Militär kontrolliert. Mit seiner Lage an der Straße von Malakka liegt Aceh an einer der Hauptschifffahrtsrouten der Welt. Hier entlang erfolgt ein Großteil der Ölversorgung der Industriegiganten Japan, Südkorea und Taiwan, in Gegenrichtung verschiffen sie wie auch China ihre Exporte nach Europa.
Weil der Reichtum aus Acehs Rohstoffen – Öl, Gas, Holz – in die indonesische Hauptstadt Jakarta fließt und die entmündigte Region nichts davon hat, entstand hier mit der „Bewegung freies Aceh“ (Gam) eine bewaffnete Unabhängigkeitsbewegung. Sie bekommt keine internationale Unterstützung, weil alle möglichen potenziellen Unterstützer ein Auseinanderbrechen Indonesien befürchten. Doch die brutale Unterdrückung der Gam brachte Acehs Bevölkerung nicht nur viel Leid, sondern entfremdete auch Acehnesen, die keine Gam-Unterstützer sind, vom indonesischen Staat.
Dessen Armee ist ein Staat im Staate – und Aceh ist sein Territorium. Nach vier Jahren Unterbrechung wurde im Mai 2003 in Aceh wieder das Kriegsrecht verhängt. Zwar gilt inzwischen der zivile Notstand, doch noch immer stehen hier, mehr als in jeder anderen Region des Landes, die militärischen Strukturen über den zivilen. Letztere sind in Aceh auch so schwach, weil sie meist keine Vertretung der lokalen Bevölkerung sind, sondern der Regierung in Jakarta. Für deren Vertreter ist Aceh zudem eine Chance zur persönlichen Bereicherung. So wurde der wegen Korruption angeklagte und inhaftierte Gouverneur von Aceh, der eigentlich Koordinator der Hilfe sein müsste, sogar von Jakarta zum Jahresende seines Amtes enthoben.
Auch das Militär verdient an Aceh. Es bezieht nur etwa ein Drittel seiner Mittel aus dem Staatshaushalt, den Rest aus legalen wie illegalen Geschäften. Für internationale Rohstoffkonzerne wie den US-Ölmulti Exxon bieten die in Aceh stationierten Einheiten gegen Bezahlung Wach- und Schutzdienste. Möglich auch, dass die jetzige internationale Hilfe zur weiteren Einnahmequelle wird.
Zunächst aber wird Aceh mit der Katastrophe „internationalisiert“, Indonesiens Militär verliert seine Kontrolle. Sehr erstaunlich ist, dass Indonesiens stolze Generäle die Hilfe von australischen Versorgungsfliegern und vom US-Flugzeugträger „Abraham Lincoln“ annahmen. Dies zeigt, dass Indonesiens Militär von der Katastrophe selbst stark betroffen ist und sie allein in keiner Weise bewältigen kann. Wahrscheinlich hat die Flut mehr Soldaten getötet, als es die in die Berge getriebene Gam je vermochte.
Für die überlebenden zivilen Opfer ist es ein Fortschritt, dass ausländische Helfer jetzt nach Aceh dürfen. Schon das Ausmaß der Krise hätte schneller bemerkt, die internationale Hilfe schneller anlaufen können, wenn die Region nicht vom Militär für ausländische Journalisten und Hilfsorganisationen gesperrt gewesen wäre. Offenbar gab das Militär aus eigener Hilflosigkeit nach. Dabei berichten Helfer und Journalisten auch jetzt noch von bürokratischen Hürden. Auch sollen inmitten der Katastrophe Soldaten weiter Jagd auf mutmaßliche Gam-Kämpfer machen, obwohl Militär und Gam nach der Flut einen Waffenstillstand verkündeten.
Die Flut zwang das Militär, in Bezug auf Australien und die USA über seinen Schatten zu springen. Die Beziehungen mit Canberra leiden noch unter den Folgen der von Australien geführten Osttimor-Intervention. Australien hatte bis 1999 Indonesiens völkerrechtswidrige Annexion Osttimors anerkannt, um sich dann an die Spitze der Verteidiger der osttimoresischen Bevölkerung zu stellen, die sich gerade per Referendum von Jakarta losgesagt hatte.
Zwar arbeiteten Indonesier und Australier schon nach den Bomben von Bali erfolgreich zusammen. Doch dies galt nur für die Polizei und wurde von Indonesiens Militär misstrauisch beäugt. Umgekehrt löste Australiens Premierminister in Indonesien Empörung aus, als er im Herbst für sein Land das Recht auf militärische Präventivschläge in der Nachbarschaft reklamierte, um mutmaßliche Terrorgefahren abzuwenden.
Jetzt bietet die Katastrophe den Militärs aus Indonesien, Australien, den USA und auch Deutschland die Chance, die bisherigen Animositäten hinter sich zu lassen. Die US-Regierung hat schon längst ein Interesse daran, wieder mit Jakartas Generälen zusammenzuarbeiten. Aus US-Sicht könnte es wichtig sein, im Kampf gegen den Terrorismus das Militär im Land mit der weltgrößten muslimischen Bevölkerung auf seiner Seite zu haben.
Abgesehen davon ist die US-Industrie nicht erfreut, dass Jakartas Generäle zuletzt ihre Waffen in Russland kauften. Bisher scheiterten neue Militärbeziehungen an einem Anschlag auf US-Amerikaner in Westpapua. Dort wurden 2002 zwei US-Lehrer erschossen und sechs verletzt, die Kinder von Mitarbeitern eines US-Konzerns unterrichteten, der dort die weltgrößte Kupfermine betreibt. Indonesiens Polizei machte Militärs für den Anschlag verantwortlich, die möglicherweise höhere Schutzgelder durchsetzen wollten. Dann übernahm die Militärführung den Fall, hängte ihn der lokalen Unabhängigkeitsbewegung an und blockierte unabhängige Untersuchungen.
Auch die Bundesregierung hätte gern längst die frühere Ausbildungshilfe wieder aufgenommen und wieder mehr Rüstungsgüter geliefert, wenn Indonesiens Militär sich in den vergangenen Jahren reformbereiter gezeigt hätte. Diplomaten verweisen auf die Ironie, dass es eine Zusammenarbeit mit dem Militär gab, als das Land unter Suharto eine Diktatur war, während die Kontakte eingeschränkt wurden, als sich das Land demokratisierte. Indonesien befindet sich in einem demokratischen Umbruch, wobei das Militär bisher zu den Bremsern zählt.
Jetzt herrscht in Jakarta mit Präsident Susilo ein vom Volk direkt gewählter Exgeneral. Er zählt innerhalb des Militärs zu den Reformkräften und war schlau genug, keinen General zum Regierungskoordinator für die Hilfe zu machen, sondern den gemäßigten Muslimpolitiker Alwi Shihab, einen Exaußenminister mit guten internationalen Kontakten. Dennoch ist längst nicht klar, ob die jetzt einsetzende Hilfswelle die Macht der Militärs weiter unterspült und in Aceh erstmals zivilen Strukturen zur Oberhand verhilft – oder ob das Militär auch durch die Unterstützung aus dem Westen sogar gestärkt aus der Katastrophe hervorgeht.
SVEN HANSEN