: Pfützen, so tödlich wie die Flut
Verschmutztes Trinkwasser ist nun die größte Bedrohung – Seuchen wie Cholera und Ruhr drohen. Die Zahl der Opfer könnte sich so verdoppeln
VON MATTHIAS URBACH
„Stehendes Wasser kann genauso tödlich wirken wie bewegtes Wasser.“ Mit diesem Satz bringt Carol Bellamy, Direktorin des Kinderhilfswerkes Unicef, die Gefahren eine Woche nach dem Tsunami auf den Punkt. Noch immer sind viele von der Flutwelle zerstörten Regionen schwer zugänglich, müssen nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis zu einer halben Million Verletzte versorgt werden, warten bis zu fünf Millionen Obdachlose auf sauberes Trinkwasser. Sie rechne jeden Moment mit dem Ausbruch von Seuchen wie Cholera, Typhus und Ruhr, erklärte die WHO-Expertin Michelle Gayer am Wochenende. Es drohe „eine zweite Welle des Todes“ ergänzte der Chef des WHO-Krisenzentrums, David Nabarro.
Bis gestern wurden der WHO zwar noch keine Seuchen aus der Region gemeldet. Doch in einigen Flüchtlingslagern in Indien und Sri Lanka häufen sich bereits Durchfallerkrankungen, berichtete ein Sprecher gestern – ein sicherer Hinweis auf verunreinigtes Trinkwasser. Und das ist nun die entscheidende Frage: Gelingt es, die Überlebenden mit genügend sauberen Wasser zu versorgen, bevor sich Seuchen ausbreiten. Die genauen Folgen kann keiner vorhersagen, aber es ist denkbar, dass an Krankheiten noch einmal so viele sterben wie am Tsunami selbst, wie Nabarro immer wieder warnt.
Dabei sind die vielen ungeborgenen Leichen nicht das Problem, wie vielfach angenommen. Schließlich sind die Menschen nicht an einer übertragbaren Krankheit gestorben – und so etwas wie Leichengift gibt es nicht. Seuchen wie Cholera, Ruhr und Typhus entstehen vielmehr, wenn Trinkwasser mit Fäkalien verunreinigt wird: Vielerorts sind Wasserleitungen und Kanalisationen zerstört. Die Menschen müssen draußen ihre Notdurft verrichten und gleichzeitig aus kleinen Bächen und Pfützen trinken. Je mehr erkranken, desto schneller verbreiten sich auf diesem Weg die Keime.
Ohne Dach über dem Kopf, oft verletzt und medizinisch nicht versorgt, steigt für viele Überlebende aber auch die Gefahr, von simplen Erkältungen, die sich zu Lungenentzündungen ausweiten, hinweggerafft zu werden. Weitere bedrohliche Krankheiten werden durch Ratten oder Mücken übertragen.
Zwar wurden die Mücken weitgehend von den Flutwellen getötet. Ihre Brut wird aber in den kommenden Wochen wieder nachschlüpfen und sich massiv vermehren – vielerorts blieben nach der Flut feuchte, verschlammte Zonen zurück, bilden sich Regenpfützen in den Ruinen. Alles ideale Brutgebiete für die Mücken, die vor allem das Dengue-Fieber verbreiten. Mit Malaria ist dagegen weniger zu rechnen, da die Anopheles-Mücke sehr empfindlich ist und in verunreinigtem Wasser nicht gedeiht. Es wird für die Bevölkerung sehr schwer werden, sich ohne Obdach oder in provisorischen Zeltstätten gegen die Mücken zu schützen. Dasselbe gilt für Ratten, die Infektionen wie den Hanta-Virus übertragen.
Zudem ist zu befürchten, dass sich viele Menschen bei der Ersten Hilfe für Verletzte durch Blutkontakt infiziert haben. Gerade in den Touristenzentren, etwa in Thailand, sind tödliche Krankheiten stark verbreitet wie HIV und die schwere Form der Gelbsucht, Hepatitis C.
Durch heftige Regengüsse hat sich die Lage in Indonesien, Indien und Sri Lanka am Wochenende noch verschlimmert. In Sri Lanka musste gar ein Flüchtlingslager evakuiert werden. Große Teile von Aceh sind noch immer unzugänglich. Es ist schon schwer, einen Überblick über die Zahl der Opfer der Flutwelle zu bekommen – wie viele Menschen noch Krankheiten zum Opfer fallen, werden wir wohl niemals genau erfahren.