: Rammsteins Onkel
Früher war er einer der beliebtesten deutschen Entertainer, heute bedient er viele kleine Nischen: Frank Zanders neuester Streich ist eine Platte mit klassischen Schlagern – getaucht in Heavy Metal
VON THOMAS WINKLER
An den Wänden hängen die üblichen Reliquien einer Prominentenkneipe. Bierdeckel, antike Blechschilder und schließlich gerahmte Fotos. Zu Gast waren hier die gewohnten Verdächtigen: Helga Feddersen und Roberto Blanco, Heino und Tom Jones. Das Komische an der Kneipe: Man kennt nicht nur die Gäste auf den Fotos, sondern auch den Wirt, den sie alle im Arm halten. Diese Kneipe ist keine Kneipe, sondern der Empfangsraum einer Bürowohnung in Charlottenburg. Hier, zwischen Zapfhahn und rustikalen Holzbalken, zwischen Barhocker und Butzenscheiben schenkt kein Wirt aus, hier hält Frank Zander Hof.
Von hier aus organisiert Frank Zander also seine Geschäfte. Allzu gerne würde er zwar die altdeutsche Gemütlichkeit seines Berliner Domizils dauerhaft eintauschen gegen seine Wohnung auf Ibiza, aber „ich muss dann doch in Deutschland zur Stelle sein“. Zu mannigfaltig seine Aktivitäten, die auch im Alter von 62 Jahren den ganzen Mann vor Ort verlangen. Denn Zander mag sich in die bundesrepublikanische Popkultur als Autor und Interpret tief schürfenden Liedgutes wie „Der Ur-Ur-Enkel von Frankenstein“, „Hier kommt Kurt“ oder „Ich trink auf dein Wohl, Marie“ eingetragen haben, neuerdings aber tut sich der gebürtige Berliner auch noch als Hardrock-Musikant hervor.
Man mag es nur schwer glauben, aber der Mann mit dem zunehmend schütteren Haar interpretiert auf seinem neuen Album „Rabenschwarz“ klassische Schlager im Stile von Rammstein. Da schneiden die schweren Gitarrenriffs durch „Komm unter meine Decke“, zerbollert das Schlagzeug „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ und „17 Jahr, blondes Haar“ wird durch seinen markigen Vortrag zum Bekenntnis eines Kinderschänders.
In seinem eher gediegenen als modernen Sakko mag Zander zwar wirken wie ein Bankangestellter, der in seiner Freizeit den Vorsitz eines Karnevalvereins führt, erweckt aber den Eindruck, als wisse er ganz genau, was er da tut. Er selbst hat in jugendlicheren Tagen in einer Deep-Purple-Coverband Gitarre gespielt, weiß heute aus dem nächtlichen Musikfernsehen, wie Doom, Thrash oder Death Metal funktionieren, und es ist ihm auch bekannt, dass die slowenischen Avantgarde-Rocker von Laibach sich bereits vor Jahren mit ähnlichen Methoden, wie er sie heute anwendet, an Sinnumwertungen bekannter Hits versucht haben: „Das war im Studio doch die Freude: Was wird uns der Text sagen, wenn ich ihn nun anders interpretiere?“. Denn meistens liegt, folgt man Zanders Vortrag, noch im liebsten Schlager eine Ebene versteckt, die bislang durch die Süßlichkeit des Vortrags verschlossen geblieben war.
Mit jedem abgehalfterten Schlager funktioniert dieses Prinzip allerdings nicht. „Es muss schon eine Schnulze sein“, sagt Zander, „am besten ein sehr ernsthaftes Lied.“ So begeistert ist er dabei über seine Auswahl, dass er prompt beginnt zu Demonstrationszwecken zu singen, oder besser: zu brummen mit grabestiefer Stimme, um anschließend zufrieden festzustellen: „Da denkt man doch, da steht schon wieder einer mit einem dunklen Mantel am Parkrand.“
Dass er mit diesem auf Album-Länge gedehnten Witz sein angestammtes Fan-Klientel verschrecken könnte, befürchtet Zander nicht. Aus dem einfachen Grund: Es gibt keines mehr. Ende der Siebzigerjahre sendete die ARD noch eine „Frank-Zander-Show“, heute habe er nicht einmal mehr einen Fanclub, stellt er eher nüchtern fest, als dass er es bedauert, und „dieses harte Schlager-Publikum kam eh noch nie zu mir“.
Auch deshalb gab er im Studio den Tontechnikern den Auftrag, die Gitarren so hart zu produzieren, dass „ich bei den normalen Sendern keine Chancen hätte, gespielt zu werden“. Dieses Vorhaben ist offensichtlich gelungen, die Platte bekommt so gut wie kein Airplay, hat es aber trotzdem im ausgesprochen umkämpften Weihnachtsgeschäft fast geschafft, in den Top 100 der Charts notiert zu werden. Auch das Nachfolge-Album ist bereits in Planung. Möglich wurde das, weil sich gänzlich neue Absatzmärkte für den als Blödelbarden Verschrieenen erschlossen haben. Ungefähr 25 Interviews hat er bereits gegeben für Fanzines, die sich mit Heavy Metal und noch Härterem beschäftigen. „Die finden es okay, dass ich so einen Haken schlage“, erzählt er, „die kennen mich noch von früher aus den Kindersendungen, die ich gemacht habe.“
Schlussendlich ist auch die Idee, alten Schlager in Metall zu tauchen, nur eine unter vielen, die Zander ein Einkommen sichern sollen. Da er es versäumt hat, sich in einem Genre fest zu verankern, bedient er nun viele verschiedene, kleine Nischen. Sein aus ihm, Ehefrau Evy, Sohn und Schwiegertochter bestehender Familienbetrieb produziert Chill-Out-DVDs mit vorsichtig tröpfelnder Beschallung und Sonnenuntergängen, die er selbst von der Terrasse seiner Zweitwohnung auf Ibiza filmt. Auch nicht schlecht läuft das Geschäft mit dem Mini-Label „Handgebrannt“, das individualisierte CDs vertreibt, auf denen Zander musikalische Geburtstagsgrüße übermittelt: Mehr als 6.000 Namen hat er dafür eingesungen, die bei Bedarf jeweils in die Aufnahme editiert werden. Dann wird eine einzige CD gebrannt und dem Jubilar geschickt. Die Geschäftsidee, die die aktuelle Absatzkrise der Musikindustrie vorweg ahnte, setzt seit einigen Jahren immerhin drei bis vier Mitarbeiter in Lohn und Brot und wurde bereits mit einer Goldenen Schallplatte dotiert. Auch die notorische Taschentuch-Zeitung und die Autobiografie von des Kanzlers Halbbruder Lothar Vosseler stammen aus dem Zander’schen Kleinstfirmenkonglomerat.
Wenn Zander erzählt, wie er sich und die Seinen mit immer wieder neuen Ideen ernährt, dann ist er sichtlich stolz. Andererseits aber gibt er gerne zu, durchaus „auch ein bisschen verbittert“ darüber zu sein, dass er nicht mehr der Liebling der Medien ist, der er einmal war: „Ich hätte die größte Einschaltquote, wenn ich auf dem Marktplatz ein paar Leute hinrichten lasse.“ So gesehen ist es natürlich wesentlich humaner, ein paar ausgediente Schlager zu exekutieren.
Frank Zander: „Rabenschwarz“ (Zett Records/ DA Music/ Dt. Austrophon)