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Archiv-Artikel

„Alles offenlegen“

Der Korruptionsexperte Uwe Dolata vom Bund Deutscher Kriminalbeamter meint, Korruption sei nur schwer zu beziffern

taz: Herr Dolata, ist es Korruption, wenn Politiker von Konzernen für nicht messbare Leistungen bezahlt werden?

Uwe Dolata: Der Verdacht liegt zumindest nahe, dass Leuten, die mit ihren politischen Ämtern ausgelastet sind und trotzdem Geld bekommen, ihre Entscheidungen abgekauft werden sollen. Das wäre in der Tat Korruption.

Unzählige Politiker bekommen Geld von Firmen – für Aufsichtsratsposten, für Beratung, für allerlei schwer erfassbare „Arbeit“. Kann ein Gesetz das Phänomen überhaupt in den Griff bekommen?

Der Tod der Korruption ist die Transparenz. Die naheliegendste Forderung in diesem Zusammenhang ist also, dass Politiker alle ihre Einkünfte offenlegen müssen. Wenn sie hierbei etwas unterschlagen, könnten sie belangt werden. Doch wenn wir uns nur auf Amtsträger und den öffentlichen Dienst konzentrieren, verlieren wir die Korruption aus dem Blick, die vom Umfang her viel gewaltiger ist: das korrumptive Verhalten der Wirtschaft. Die Banker und Manager der Großkonzerne lachen doch darüber, dass Politiker in Deutschland über Dienstwagen, Stromrechnungen und Einkaufswagen-Chips stürzen. Wir rechnen damit, dass in der Wirtschaft zwei Prozent der Korruptionsfälle auffliegen – die Dunkelziffer wird wird auf 98 Prozent geschätzt.

Wie will man denn das Unbekannte beziffern?

Sie haben Recht – wir wissen zu wenig. Es gibt kaum empirische Forschung zur Korruption. Die Kriminalstatistik weist zwar seit 1994 das Stichwort Korruption als Sammeltatbestand aus. Doch verschwinden auch korruptive Vorgänge aus der Statistik, die sich etwa unter Untreue fassen lassen. Die Kriminalstatistik wird nicht am sachlichen Erkenntnisinteresse ausgerichtet, sondern daran, dass sich ein Innenminister damit brüsten kann – deshalb wird „Klarheit“ produziert, wo Unklarheit herrscht.

Korruptionskritiker wie Transparency International operieren gerne mit gewaltigen Schadenssummen: Drei oder fünf Prozent vom Bruttosozialprodukt dienten der Korruption, und so weiter. Macht das Sinn?

Das Problem der Bezifferbarkeit schlägt auch hier zu. Wir haben eine Schadenssumme vom Bundeskriminalamt, wonach die Kosten der erfassten Korruptionsfälle in Deutschland 5,8 Milliarden Euro betragen. Alle anderen Angaben sind Schätzungen aufgrund einer unterstellten Dunkelziffer. Sinnvoller ist es daher, die Korruption in einzelnen Branchen zu durchleuchten. So gibt es zum Beispiel in der Baubranche die meisten Geber, in der Gesundheitsbranche die meisten Nehmer.

Was läuft ausgerechnet in diesen beiden Branchen schief?

In der Baubranche müssen traditionell viele Akteure, die unter höchstem Termindruck stehen, kooperieren. Hier sagen alle, „ohne Schmieren geht gar nichts“. Drei Prozent der Bausumme flössen in Schmiergeldzahlungen, geben die Täter an. In der Gesundheit ist es vor allem die Lobbymacht der Pharmakonzerne, die der relativen Ahnungslosigkeit der Ärzte gegenübersteht – und einem Mangel an Kontrolle durch Patienten oder Krankenkassen.

Wenn größter Termin- und Marktstress und Mangel an Kontrolle die Kriterien sind, müsste die Welt dank der Globalisierung der Märkte korrupter werden.

Das ist auch so. Natürlich wird zum Beispiel auch die EU-Osterweiterung die Korruption verstärken. Durch die Internationalisierung von Anti-Korruptions-Maßnahmen verschwindet die Korruption ja nicht. Deutschland wurde früher von der OECD als „korruptestes Land der Welt“ bezeichnet, weil man hier Schmiergelder sogar von der Steuer absetzen konnte. Das ist mit dem Korruptionsbekämpfungsgesetz seit 1997 zwar vorbei. Doch wir dürfen getrost davon ausgehen, dass der Exportweltmeister Deutschland stetig neue, perfide Strategien zur Interessendurchsetzung findet. Und ich glaube, das ist auch politisch gewollt. INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN