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Archiv-Artikel

Abseits der edlen Habitate

Oberstufe weg, Schwimmbad weg, Bücherhalle nur noch für Kinder: Der Elternrat der Gesamtschule Steilshoop erklärt 2005 zum „schlimmsten Jahr in der Geschichte des Stadtteils“. Die GAL sieht für Jenfeld die gleichen Probleme

„Wenigstens nehmen sie den Kindernihre Bilderbüchernicht weg“

Von Kaija Kutter

Die Stadt ist nett zu Kindern, konnte denken, wer an einem Samstag oder Ferientag das Schwimmbad Fabriciusstraße benutzte. An ruhiges Bahnenschwimmen war nicht zu denken, so voll war das Bad, besucht von Eltern mit Kindern und zahlreichen Teenagern, darunter oft türkische Mädchen, die mit T-Shirt badeten. Die Bademeister legten aktuelle Disco-Hits auf oder beaufsichtigten geduldig angeberische Sprünge der Jungs vom Dreimeterbrett. Und was das Schönste war: Das Bad hatte eine riesige Spaßrutsche, obwohl hier nur der günstigere Regionalbadeintritt zu bezahlen war.

Ein Blick aus dem Fenster auf die Lichter der gegenüberliegenden Hochhausfront zeigt, dass diese städtische Großzügigkeit die Richtigen erreicht: Kinder, die in der Betonsiedlung Steilshoop wohnen und Bewegung im Wasser zur Förderung ihrer gesunden Entwicklung dringend brauchen. Damit soll jetzt Schluss sein: Das Fabriciusbad ist eines von drei Bädern, die der Senat schließen möchte.

„Wir sind verzweifelt“, sagt Martin Kersting vom Elternrat der Gesamtschule Steilshoop. „2005 wird wohl das schlimmste Jahr in der Geschichte des Stadtteils.“ Aufgrund eines „gewaltigen Rückbaus“ der sozialen Infrastruktur, so fürchtet er, werden sich die Verhältnisse in der Großsiedlung mit ihren 20.000 Einwohnern und rund 4.000 Kindern deutlicher verschlechtern als in den Stadtteilen mit einer gewachsenen Struktur.

Auch die Bücherhalle soll dichtmachen, weil eine Stadt, die 30 Millionen Euro für das Maritimmuseum des Peter Tamm übrig hat, den öffentlichen Bibliotheken 900.000 Euro kürzt. Für Steilshoop gibt es deshalb nur noch eine „Familienbibliothek“ mit Lesestoff für unter 12-Jährige. „Einen Brockhaus wird man in Steilshoop nicht mehr bekommen“, sagt Kersting. „Aber wenigstens nimmt man den Kindern die Bilderbücher nicht weg.“

Dafür aber die Chance, in der Stadtteilganztagsschule Steilshoop das Abitur zu machen. Seit 18 Jahren gab es eine erfolgreiche Kooperation mit dem Wirtschaftsgymnasium, so dass die Gesamtschuloberstufe eine breite Kurspalette bieten konnte. Nun wird die Oberstufe geschlossen, weil Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig keinen „Muß“ zwischen den Schulformen möchte, wie sie erklärte. „Das Wirtschaftsgymnasium hat unseren Stadtteil sehr befruchtet“, erinnert sich Kersting. Fehlt nun die Oberstufe, verliere die Schule an Attraktivität und müsse möglicherweise bald ganz schließen.

Der studierte Lateiner, der sich mit einem Hartz-IV-Job über Wasser hält, hat sich selbst zu Steilshoops Stadtteilhistoriker erklärt. Das Archiv, das er vor zwei Jahren anlegte, enthält Berichte über die frühen 90er Jahre, in denen sich zwischen den Hochhäusern Straßengangs Schlachten lieferten. Doch dank politischer Stützungsmaßnahmen sei das Viertel heute friedlich. Das wird sich ändern, fürchtet der 51-Jährige: „Armut und relative Unbildung sind kriminalitätsfördernde Faktoren.“ Bei der Betrachtung künftiger Kriminalitätsraten müsse berücksichtigt werden, dass Steilshoop keine Geschäfte mehr habe, in denen Jugendliche etwas klauen könnten. Selbst Straßen und Grünanlagen würden von der Stadt vernachlässigt. In den Parkstreifen wuchere die Urtica dioica, also die Brennnessel, und auf den Bürgersteigen gebe es oftmals nur „gestampften Sand“. Erschwerend hinzu komme der Wegfall des Sozialtickets: Wenn eine Mutter mit Kind über 14 Jahren zum Ausleihen eine Buches zur Zentralbibliothek fährt, kostet sie allein die Fahrt schon 7 Euro 45.

Fast spiegelbildlich scheint die Lage in Jenfeld. „Der Stadtteil steht auf der Kippe“, warnt Frank Hiemer von der Wandsbeker GAL und weist darauf hin, dass auch dort die Oberstufe der Gesamtschule Otto-Hahn und das Schwimmbad Wandsbek schließen und die Bücherhalle auf Kinder beschränkt wird.

„Bei der Wachsenden Stadt“, so überlegt Martin Kersting, würde wohl „nur auf Habitate der gesellschaftlichen Entscheidungsträger gesetzt“. Dabei würden die Stadtteile mit unterdurchschnittlichen Steueraufkommen „schlicht vergessen“.