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Archiv-Artikel

Das große Rennen um viel Geld

Jährlich werden rund 2,3 Milliarden Euro für humanitäre Zwecke gespendet. Ein einziges Spendenkonto nach dem Vorbild Großbritanniens hätte Vorteile

VON MATTHIAS URBACH

„Spenden ist ein Markt.“ Damit bringt Lübbo Roewer vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) die aktuelle Lage auf den Punkt. Rund 3.000 Organisationen sammeln in Deutschland überregional Spenden, und wenn die Spendenbereitschaft schon mal so groß ist wie jetzt, urteilt Roewer, dann versuche „jede Organisation zu zeigen, dass sie da vor Ort aktiv ist“. Eine Situation, die vor allem die etablierten Hilfsverbände wie das Deutsche Rote Kreuz skeptisch beurteilen.

Auch der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Hans-Joachim Preuß, beobachtet das. „Es gibt eine ganze Menge Hilfsorganisationen, die jetzt noch auf den Zug hüpfen, obwohl sie gar nicht die Strukturen haben, da zu helfen.“ Das Spendenaufkommen für humanitäre Hilfe wird auf jährlich 2,3 Milliarden Euro geschätzt. Mehr als ein Zehntel dieser Summe, wurde inzwischen allein für die Opfer des Seebebens gesammelt. Auch die großen Verbände sind selbstverständlich daran interessiert, sich einen prominenten Platz vor allem auf den Spendengalas im Fernsehen zu reservieren. Die bisher mit über 40 Millionen Euro einträglichste Gala vergangenen Dienstag machte der Sender mit dem „Aktionsbündnis Katastrophenhilfe“, einem lockeren Zusammenschluss der Großverbände DRK, Caritas, Unicef und Diakonie. Die Welthungerhilfe machte ihr Gewicht geltend, um auch noch in den Genuss der Gala zu kommen.

Wem soll man sein Geld spenden? Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) gibt ein Spendensiegel heraus. Bislang wurde es 187-mal vergeben. 36 dieser seriösen Hilfsorganisationen engagieren sich in der Seebeben-Krisenregion. Wer soll da noch durchsteigen?

Ein Konto für alle?

Seit einiger Zeit wird in der Szene die Idee eines einheitlichen Spendenkontos für alle diskutiert, insbesondere seit die ARD sich weigert, mehr als ein Spendenkonto in der „Tagesschau“ zu nennen – und inzwischen einfach alle nur noch auf seinen Internetseiten auflistet. Vorbild sind England und die Schweiz. In England gibt es das „Disaster Emergency Comittee“ (DEC) ein Zusammenschluss von 12 Hilfsorganisationen, der seit 1963 ein zentrales Konto angibt und die Mittel aufteilt, wenn es gilt, bei großen Katastrophen schnell zu helfen. DEC kooperiert mit BBC, anderen Sendern sowie Banken und der Presse, die überall nur die eine Nummer angeben. Hinter der Gründung steckte der Druck der BBC.

In der Schweiz gibt es die Glückskette, ein Initiative zweier Radiomacher von 1946, aus der schließlich 1983 eine Stiftung entstand, die das Spendengeld treuhänderisch sammelt und es gezielt an Hilfsorganisationen weitergibt. Beide Organisationen genießen hohes Ansehen.

Angesichts der aktuellen Lage fordert nun die Welthungerhilfe erneut, so ein gemeinsames Konto auch in Deutschland einzurichten. Ein ersten Schritt dahin hat die Aktion Deutschland Hilft (ADH) gemacht. Nach der Kosovokrise hatten sich einige Verbände zusammengesetzt und überlegt, wie man das Spendensammeln im Krisenfall besser organisieren könne. Zwar ist die ADH für weitere Hilfsorganisationen als Mitglieder offen, die seriös und unabhängig von Regierungen sind. Trotzdem nehmen bislang nur 10 eher mittelgroße Verbände daran teil, darunter Malteser Hilfsdienst, Johanniter, Arbeiter-Samariter-Bund sowie die deutschen Zweige der internationalen Verbände Care und World Vision.

Ein Bund ohne „Große“

Die Welthungerhilfe würde dort auch mitmachen, sagt Generalsekretär Preuß, wenn auch die anderen Großen mitzögen – „aber die haben uns einen Korb gegeben“. Denn die Großen, vor allem Unicef, DRK, Caritas und Diakonie fürchten, ihr eigenes Profil könnte darunter leiden. „Wir haben schon ein weltweites Rotkreuz-Netzwerk“, sagt etwa DRK-Sprecher Roewer, „und lehnen deshalb solche Bündnisse ab.“ Alle anderen Verbände hatten eine Ausrichtung, „die nicht so neutral ist wie unsere“. Diese Ausrichtung hinderte allerdings die britische Sektion des Roten Kreuzes nicht daran, sich am britischen DEC zu beteiligen.

Das DRK, das bis Donnerstagabend 48,5 Millionen Euro sammelte – so viel wie kein anderer Einzelverband – hat so ein Bündnis vermutlich auch am wenigsten nötig. Zwar haben sich die ganz großen Organisationen auch in einem so genannten Aktionsbündnis Katastrophenhilfe zusammengetan, doch das besitzt anders als die ADH keine gemeinsamen Strukturen. Und: Es gibt auch kein gemeinsames Spendenkonto an, sondern eine Hotline. Dort wird jeder Spender gefragt, an wen der beteiligten vier Verbände er spenden will.

So ist die Gründung der ADH nach der Meinung von Burkhard Wilke, dem Geschäftsführer des Spendeninstituts DZI, ein Ausdruck des gestiegenen Wettbewerbs in der Branche. Die mittelgroßen Organisationen hätten gesehen, dass im Fernsehen „immer die Großen im Vordergrund stehen“.

Ohnehin ist der Konkurrenzdruck erheblich gewachsen. Seit den Achtzigerjahren drängen immer mehr Verbände auf den deutschen Markt, die bisher nur im Ausland operierten – und die deutsche Verbände gründeten wie Oxfam, World Vision, Care oder Plan.

Besonders World Vision war lange wegen seiner „kostenaufwändigen, unvertretbar gefühlsbetonten“ (Wilke) Werbung vom DZI kritisiert worden – und in der Szene unbeliebt. Inzwischen hat man sich dort den deutschen Geflogenheiten weitgehend angepasst – und 2003 auch das Spendensiegel erhalten. Immerhin spielt World Vision allein vom Spendenaufkommen inzwischen in Deutschland in einer Liga mit Kindernothilfe, Caritas oder der Welthungerhilfe.

Wettbewerb tut gut

Diese Globalisierung auf dem Spendenmarkt hat „insgesamt zu mehr Briefsendungen und mehr Benefizsendungen im Fernsehen geführt“, berichtet Wilke – und zum Engagement von immer mehr professionellen Fundraisern. Doch Wilke findet den Wettbewerb sehr gut: Das habe „viel frischen Wind reingebracht“. Zur frischen Brise gehört nun auch die „Aktion Deutschland Hilft“, die zwar bereits seit zwei Jahren bei Katastrophen gemeinsam auftritt, aber bei diesem Seebeben zum ersten Mal die meisten Spenden auf sich vereinigt – mit 50 Millionen Euro bis Donnerstagabend. Allein 10 Millionen Euro nahm man als Partner von Sat.1 bei seiner Gala am Montagabend ein.

„Vielleicht gibt es nach dem Seebeben nun eine neue Diskussion“, sagt Manuela Roßbach von der Aktion Deutschland Hilft. Für den Spender wäre das sicher einfacher. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass es ohne den Druck der großen TV-Anstalten tatsächlich zu einem einzigen Spendenkonto kommt. Die Ironie ist: Weil bei ADH bislang so wenige mitmachen, ist der Name noch zu groß geraten: „Aktion Deutschland Hilft – Das Bündnis der Hilfsorganisationen“, dieser Titel brachte den Bündnispartnern inzwischen eine Mahnung des DZI ein, weil er einen Alleinvertretungsanspruch suggeriere. So kann es auch kommen.