„Mitleid und humanitäre Hilfe reichen nicht“

Immer mehr Naturkatastrophen suchen tropische Länder heim, vor allem kleine Inselstaaten. Ihre Politiker fordern: Statt hinterher den Opfern zu helfen, sollten die reichen Länder lieber vorher in den Katastrophenschutz investieren. Ab heute tagen sie in Mauritius

BRÜSSEL taz ■ Jenseits der Zerstörungen, die die Flutwelle im Indischen Ozean angerichtet hat, sind tropische Kleinstaaten auch von den Folgen des globalen Klimawandels bedroht. Es gibt immer häufiger Naturkatastrophen auf der Welt – aber die Mittel, um sie zu verhindern oder ihre Folgen zu beheben, sind weltweit ungleich verteilt. Dieses Thema beschäftigt ab heute einen Krisengipfel mit Vertretern 25 kleiner Inselstaaten in Mauritius. „Wir brauchen eine neue Solidarität mit kleinen Inselstaaten“, sagte der mauritische Umweltminister Rajesh Bhagwan bei einem Vorbereitungstreffen. UN-Sprecher François Couti sagte: „Seit der Flutwelle wissen die Geberländer, welchen Gefahren Inseln ausgesetzt sind.“

Der Termin stand schon vor der jüngsten Flutkatastrophe fest, erhält jetzt aber zusätzliche Brisanz. „Es geht um unsere Existenz“, sagt Anote Tong, Präsident des pazifischen Inselstaates Kiribati. In Bangladesch leben 40 Millionen Menschen unter dem Meeresspiegel. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR prophezeit gigantische „ökologische Migrationen“ von Menschen, die den Folgen des Klimawandels entkommen wollen. Der französische Geograf Yves Lacoste warnt, dass die klimatischen Folgen der Erderwärmung häufigere Dürren im südlichen Afrika oder im Mittelmeerraum produzieren werden.

Wenn der Ozean sich verändert, betrifft das auch das Leben seiner Fauna. In Mosambik, den Seychellen, Madagaskar und auch in Westafrika stehen viele Fischer vor der Arbeitslosigkeit, und Mangrovenwälder, von denen zahlreiche Fisch- und Krustentierarten abhängen, sind vom Verschwinden bedroht. Versicherungsexperten rechnen damit, dass die Auswirkungen der Erderwärmung die Weltwirtschaft bis 2015 125 Milliarden Euro im Jahr kosten könnten.

Die Exkolonien Europas in Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP), die eine privilegierte Partnerschaft mit der EU unterhalten, verlangen nun koordinierte europäische Anstrengungen für ihre Partnerländer. Am 10. Dezember verabschiedete die paritätische Parlamentarierversammlung von EU und den 78 AKP-Staaten in Den Haag eine Resolution, die einen EU-Fonds für Katastrophenhilfe in AKP-Staaten forderte. Die Initiative kam von Paul Vergès, französischem Senator für die Insel Réunion im Indischen Ozean. Es sei nicht genug, auf die mögliche Umsetzung des Kioto-Protokolls und die Reduzierung der globalen CO2-Emissionen zu warten, sagte Vergès und verwies auf die Wirbelstürme und Fluten des Jahres 2004. Jedes Jahr, so die UNO, fegen inzwischen zehn heftige tropische Wirbelstürme durch den Indischen Ozean. Es sei auch nicht genug, den Opfern solcher Katastrophen einfach Nothilfe zu geben, so Vergès. „Die Notsituationen verbergen, was wirklich passiert“, sagte er. „Die Erderwärmung führt im Tropengürtel zu einer Erwärmung der Meerestemperaturen, einer höheren Verdunstung und einer erhöhten Luftfeuchtigkeit. Das verstärkt den zerstörerischen Effekt von Wirbelstürmen.“

Die absehbare Erhöhung des Meeresspiegels und die Erhöhung der Mitteltemperatur haben im Indischen Ozean schon konkrete Folgen. 40 Prozent der Korallenriffe von Réunion und Südostasien sind aufgrund von Algenwucherung abgestorben. Wenn Korallenriffe absterben, können sie nicht mehr wachsen und keine Flutwellen mehr von Stränden fern halten. Auf Réunion, Mauritius und den Seychellen ist daher die Touristik bedroht. Noch düsterer ist die Zukunft der Malediven, die nach wissenschaftlichen Prognosen in diesem Jahrhundert größtenteils im Meer versinken werden. Der Pazifikarchipel Tuvalu verschwand bereits 2000 vollständig unter drei Meter hohen Flutwellen. Angesichts all dessen, so Vergès, „verlieren die Parolen der nachhaltigen Entwicklung und der Entwicklungszusammenarbeit ihren Sinn“.

Was tun? Die Niederlande begannen nach Flutkatastrophen 1953, Deiche zu bauen, die ihr Land seitdem sichern. Europa müsste heute, so Experten, ähnlich massiv in den armen Ländern der Welt investieren. In Réunion haben französische Experten bereits Korallentransplantate in abgestorbene Riffe eingesetzt, von denen immerhin jedes zweite erfolgreich ist. In Haiti und Madagaskar sind großflächige Wiederaufforstungsprogramme geplant.

Das alles kostet sehr viel Geld, und Vergès ist skeptisch. „Die Führer Europas und der anderen Industrienationen scheinen sich nicht bewusst zu sein, dass Mitleid und humanitäre Hilfe nicht mehr ausreichen“, kritisiert der Senator. „Wir stehen vor einem neuem Zeitalter, das die Politiker noch unterschätzen.“

Auf die AKP-Resolution von Den Haag antwortete die EU mit einem enttäuschenden Gegenvorschlag: Reiche AKP-Länder sollten selber einen Fonds für ärmere AKP-Länder einrichten, in den sie einen Teil ihrer EU-Entwicklungshilfe einzahlen. Vielleicht sorgt hier die jüngste Flutkatastrophe für eine Bewusstseinsänderung.

FRANÇOIS MISSER