Ich bin allein und alles ist in mir

Zuschauer, Tänzer, Innenleben: Die Tanztage 2005 überzeugen durch Feinsinn und Selbstironie. Bei den Stücken von Hanna Hegenscheidt, Javier Alemán Morillo und Tabea Tettenborn geht es dabei vor allem um die eigenen Produktionsbedingungen

VON ASTRID HACKEL

Es ist nicht leicht, einen Platz zu finden und ihn anderen gegenüber zu behaupten. Das Ringen um einen persönlichen Standpunkt und um Möglichkeiten, sich und seine Bedürfnisse zu formulieren, bestimmte gleich mehrere Produktionen, die im Rahmen der Tanztage Berlin in den Sophiensælen aufgeführt wurden. Ungewöhnlich junge Choreografen, die zum Teil noch in der Ausbildung sind, zeigen bis Ende dieser Woche ihre ersten Arbeiten in Eigenregie. Ein kontrastreiches Programm, in dem sich einzelne Produktionen aufeinander zu beziehen scheinen, weil sie ähnlichen Fragen nachspüren. Fragen, die viele junge TänzerInnen angehen – und so auch den Tanz selbst.

Die Interaktion von Tänzer und Publikum beschäftigte sowohl Javier Alemán Morillo mit seinem Stück „Uno“ als auch Hanna Hegenscheidt im ersten Teil ihres „Prologs“. Die überwiegend in Berlin arbeitende Choreografin, Tänzerin und Pädagogin untersucht in drei losen Episoden die Situation des Performers kurz vor der Präsentation. Angharad Davies, eine New Yorker Tänzerin, dreht die Hände ineinander, ringt um Worte und guckt Hilfe suchend ins Publikum. Zwei pathetische Gesten genügen, um Verlegenheit und verbales Unvermögen in strahlendes Selbstbewusstsein zu kehren. Die Unzulänglichkeit der Sprache wird durch den Tanz überlistet. Die Bedingungen der Performance mitzureflektieren, das Vorher, Nachher und die privaten Gedanken des Tänzers – das sind Verfremdungsformen, die eine bequeme Einfühlung des Zuschauers verhindern, aber in ihrer ausgestellten Authentizität umso eindringlicher wirken. Im zweiten und dritten Teil der herausragenden Choreografie kommt eine neue Ebene hinzu. Zum Verhältnis zwischen Tänzer und Zuschauer treten die internen Angelegenheiten der Tänzer – Konkurrenzverhalten, Vertrauen, Eifersucht. Christopher Daftsios reagiert gereizt auf Angharad Davies, die hinter seinem Rücken steht. Doch kaum hat er sie weggeschickt, vermisst er ihre Nähe. Dass der Tanz und die theoretische Reflexion darüber ineinander greifen, zeigt Run Shayo, wenn er laut darüber nachdenkt, wer von den drei Tänzern sich wo im Raum positionieren könnte, damit jeder unabhängig eine Welt für sich behauptet. Bedingungsloser Gehorsam gegenüber seinen Anweisungen schlägt bei den anderen in Autoaggression und offenen Gegenangriff um. In feinsinnigen, absurden Aufführungssituationen wird die eigene Rolle selbstironisch gebrochen oder parodiert. Der gespielte Dilettantismus an der Grenze zum Peinlichen verrät viel Humor.

Ein wenig mehr Humor hätte man Tabea Tettenborn für ihre erste lange Produktion „Sinnsalabim“ gewünscht. Dabei fängt es noch ganz lustig an. Fünf Tänzerinnen sitzen zusammen und schneiden komische Grimassen. Aus der ersten Sequenz entwickeln sich jedoch zähe Tableaus. Es mag an den unterschiedlichen Tänzerinnen liegen, vielleicht auch an der willkürlichen Formation im Raum: Stimmung jedenfalls kommt keine auf. Lautes Stöhnen und Tiergeräusche scheinen den Performern die Energie zu stehlen, die für den Tanz nötig gewesen wäre.

Das über „Sinnsalabim“ stehende Motto „Ich bin in allem und alles ist in mir“ hätte ebenso gut für Javier Alemán Morillos „Uno“ gelten können. Der junge Tänzer und Choreograf, der mit der Gruppe Two Fish zusammenarbeitet, setzt sich unter dem Namen Selfish mit den subjektiven Interpretationen der Wirklichkeit auseinander. Es gilt, den Moment festzuhalten, in dem man darüber entscheidet, was real ist: die Phase der Zerrissenheit bis hin zur Entscheidungsfindung. Zwischen der Bewusstwerdung, dass es ein Bedürfnis gibt, eine eigene Realität zu schaffen, und dem Resultat ist alles möglich. So setzt sich „Uno“ aus Variationen der immer gleichen Grundsituation zusammen. Beschleunigung und Zeitverzögerung, Sicherheit und Ungewissheit prallen in leicht abgewandelten Sequenzen aufeinander. Wenn Morillo unvermittelt energisch auf das Publikum zugeht und provokant aggressiv fragt, ob es seinen Standort kennt; wenn er in das Schweigen hinein verkündet, er jedenfalls habe seinen Platz gefunden, dann zweifelt man zurecht daran. Andererseits: Vielleicht gehört es auch zum Spiel, wenn er im Raum herumirrt, wenn seine Hände diese suchenden Bewegungen machen. Gleichzeitig arbeitet Javier Alemán Morillos mit Verwirrungstaktiken und unterstellt seinem Gegenüber solche Tricks: „Ich weiß, was ihr vorhabt: Ihr wollt mich verunsichern.“

Javier Alemán Morillo verlagert Konflikte nach außen – und doch rutscht er nie ins Sentimentale ab. Dabei helfen ihm auch musikalische Einschübe mit jazzigen Improvisationen und Alltagsgeräuschen. Sie schaffen eine entspannte äußere Wirklichkeit jenseits der inneren.

Bis 14. 1., Sopiensæle, Sophienstraße 18. Termine: www.sopiensaele.com