: Hier nur Pfadfinder
OBDACHLOSEN-VERTREIBUNG Wer ohne Halstuch während des Kirchentags auf der Straße sitzt, wird von der Polizei vertrieben
Achim, Wohnungsloser und Herrchen von „Scooby“
VON EIKEN BRUHN
Manni und Moni haben vom Kirchentag die Schnauze voll. Normalerweise würden sich die Polizisten wenig um sie scheren, erzählen die beiden, die seit Jahren fast jeden Tag an der Domsheide sitzen. „Solange wir uns ruhig verhalten und nur unseren Becher hinstellen, lassen die uns in Ruhe“, erzählt die 50-jährige Moni. Doch seit Donnerstag sei das anders. Vier Mal, sagt Manni, sei er rüde angeraunzt worden. Erst sollten sie aufräumen, den Bierkasten mit leeren Pfandflaschen, den sie geschenkt bekommen hatten, wegbringen. „Sonst sind die freundlich“, sagt der 40-Jährige, aber am Abend hätte ihm ein Beamter gedroht, wenn er nicht sofort verschwinde, würde er ihn mitnehmen.
Was die beiden wütend macht: Das derzeit überall in der Stadt Menschen auf dem Boden sitzen, manche auch mit Bierflasche wie Manni. Er zeigt auf junge Pfadfinder auf der anderen Straßenseite. „Warum dürfen die, was uns verboten wird?“
Dabei hatte Innensenator Ulrich Mäurer vor dem Kirchentag noch dementiert, er würde während der fünf Tage die Obdachlosen aus der Innenstadt heraus drängen wollen. „Die vielen Trinker sind wirklich kein angenehmer Anblick. Gerade zum Kirchentag sollen die Besucher von unserer Stadt einen schönen Eindruck bekommen. Darum werden wir dafür sorgen, dass dieses Bild sich ändert“, hatte ihn die Bild-Zeitung zitiert. Später erklärte Mäurer, seine Äußerungen seien verkürzt dargestellt worden. Lediglich wer störe, müsse gehen.
Doch offenbar beginnt Störung für manche bereits dann, wenn jemand angetrunken auf der Sögestraße sitzt und mit einem Schild oder Hut um Geld bettelt. An normalen Tagen sei er einer von fünfen, erzählt der 47-jährige Achim, dessen Stammplatz am Eingang zum Blumenmarkt liegt. Doch außer ihm seien gestern alle von der Polizei vertrieben worden. Von denselben Polizisten, die sie sonst freundlich grüßen würden. „Warum ich bleiben durfte – keine Ahnung. Vielleicht wegen meinem Hund?“ Der ist wie die meisten Hunde von Obdachlosen ausgesprochen ruhig und freundlich, zudem besonders hübsch. Ein Passant bleibt stehen und betrachtet wohlwollend die Golden-Retriever-Hündin „Scooby“, die Achim als Welpe im Müll gefunden hat. „Hier haste was für deinen Hund“, sagt der Mann. „Das ist normal“, sagt Achim hinterher, „wenn die Leute etwas geben, dann für den Hund.“
Mehr Geld bekommt er dieser Tage übrigens nicht. Obwohl weit mehr als doppelt so viele Menschen in der Innenstadt unterwegs sind – in seinem Becher macht sich das nicht bemerkbar: Sechs Euro in vier Stunden.
Zufrieden hingegen ist Bertold Reetz, Leiter der Wohnungslosenhilfe bei der Inneren Mission. 1.600 Euro an Spenden hat sein Verein bis gestern Mittag bereits eingenommen. Mit acht KollegInnen und 15 Wohnungslosen betreibt er auf dem Liebfrauenkirchhof das „Café Papagei“. Die Mitarbeiter, die extra im Umgang mit Kuchen und Kunden geschult wurden, haben offensichtlich Spaß an der Arbeit. „Und sie legen großen Wert auf Pünktlichkeit“, sagt Reetz.
Die umstrittenen Äußerungen des Innensenators seien wohl aber an den meisten Kirchentagsbesuchern vorbeigegangen, sagt Reetz. Doch angesprochen auf das Thema, reagieren diese anders als die Pressesprecherin des Kirchentags, die sich „nicht in die Bremer Innenpolitik einmischen“ wollte und sich über Verschönerungsmaßnahmen freute. „Vertreiben darf man niemand“, sagt Klaus Janssen aus Hanau, der im „Café Papagei“ vor seinem Mittagessen sitzt. Seine Frau Eva pflichtet ihm bei. „So löst man das Problem doch nicht.“