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Archiv-Artikel

„Fast wie bei Pilzen“

Es geht nicht um Erinnerungen, sondern um Ausgrabungen: Das neue Programm im Gorki Theater „Glaube II: … und der Zukunft zugewandt“ widmet sich dem Thema DDR. Ein Gespräch mit dem zukünftigen Intendanten Armin Petras

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: 40 Veranstaltungen zu 40 Jahren DDR – das verspricht das Programm „Glaube II: … und der Zukunft zugewandt“ im Gorki Studio, das Sie mit Annette Reber, der Chef-Dramaturgin des Gorki Theaters, aufgestellt haben. Woher kommt die Lust an der Erinnerung?

Armin Petras: Das Projekt entstand vor ungefähr zwei Jahren, und die erste Idee war, den Palast der Republik mit alten Osttexten zu bespielen. Ich fand das klasse, weil ich selbst aus einer Generation bin, die die Hälfte der DDR gar nicht mitbekommen hat und nun merkt, dass es da ein Bild mit vielen Lücken gibt. Autoren wie Matthias Bader-Holst oder Gerd Neumann waren auch Randexistenzen in diesem Staat. Die kamen weder in der Öffentlichkeit der DDR noch der BRD vor – und später erst recht nicht.

Also geht es nicht nur um Rückblick, sondern um Entdeckungen für heute?

Genau. Das sind wirkliche Ausgrabungen: Zum Beispiel der Autor Bader-Holst, der ist noch nie auf einer Theaterbühne vorgekommen. Er starb 1990, nachdem er von einer Straßenbahn angefahren wurde. Er war ein radikaler Außenseiter und ein wunderbarer Literat. Auf der anderen Seite sieht man Hermann Kant, der ganz klar in der Nähe der Regierungspolitik stand. Dazwischen gibt es Leute, die versucht haben, ihren eigenen Weg zu finden und trotzdem die Idee des Sozialismus zu verfolgen, wie Fritz Marquard, ein Regisseur vom BE und der Volksbühne, von dem fast keiner weiß, dass er auch wunderbare Theaterstücke schrieb. Und es gibt einen Schriftsteller aus den Sechzigerjahren, Uwe Dressmann, den kannte außer mir nur noch ein älterer Schauspieler. Der aber war völlig begeistert. Das haben wir gesucht: dass sich plötzlich, fast wie bei Pilzen, unterirdische Rhizome zeigen, die man überirdisch gar nicht sieht.

Es tauchen viele Stichworte auf, wie das Fußballländerspiel 1974, das die DDR gegen die BRD gewann, oder Sigmund Jähn – „Unser Mann im Weltraum“, – die Ikonen der DDR-Geschichte sind. Ist das ein Trostprogramm für den Osten?

Gerade jetzt, wo Ost-West wieder zum Thema wird, finde ich es interessant, die Spuren zu suchen. Unsere Feldforschung umfasst nicht nur Bereiche der Avantgarde oder der regimekritischen Texteschreiber, sondern fragt auch: Was war in aller Munde, was war einzigartig. Eine meiner Lieblingsgeschichten ist die zehnte Fernschacholympiade 1995, wo die DDR Weltmeister wurde – völlig absurd, fünf Jahre nach ihrem Ende.

Sie sind als Intendant für das Gorki Theater benannt. Steckt in dem jetzigen Projekt, das auch viele freie Gruppen einbezieht, eine Skizze dessen, was Sie als Intendant vorhaben?

Der Begriff Skizze passt, denn eine Skizze kann man weiterführen oder wieder ausradieren. Man kann sehen, was Spaß macht, dem Publikum, den Schauspielern und Regisseuren – wie ein Versuchsballon.

Am 14. Januar startet „… und der Zukunft zugewandt“ am Gorki Theater mit Annett Gröschners „Moskauer Eis“, am 15. Januar kommt am Deutschen Theater ihr Stück „3 von 5 Millionen“ heraus. Ist das eine konzertierte Aktion?

Nein, das hat sich so ergeben.

Auch am Deutschen Theater soll es einen neuen Intendanten geben. Die erste Nominierung von Christoph Hein ist geplatzt. Warum spielte dabei die Frage der Herkunft aus Ost oder West wieder eine so große Rolle? Wem nützt das Wiederaufreißen des alten Grabens?

Der Senator konnte die Entscheidung aufgrund der rechtlichen Lage allein treffen, und davon fühlten sich bestimmte Kreise ausgeschlossen. Das hat eine Welle von Aggression ausgelöst. Aber das ist nur eine Seite. Auf der anderen Seite denke ich, dass durch die EU-Erweiterung, durch Hartz IV, durch alles, was jetzt Menschen verunsichert, eine Stimmung entsteht, in der bestehende Konflikte zugespitzt ausgetragen werden. Das tritt an Stelle der Dinge, die in Wirklichkeit die Situation verschärfen.

Was sind denn diese Dinge?

Als Fritz Kater vor ungefähr zwei Jahren das Stück „3 von 5 Millionen“ über Arbeitslose während der Weltwirtschaftskrise in den Zwanzigerjahren und heute geschrieben hat, waren fünf Millionen eine fiktive Zahl – das sollte über das Ziel hinausschießen, und jetzt hat die Gegenwart den Text, die fantastische Übertreibung eingeholt. Im dritten Teil des Stücks wird aus der Arbeitslosigkeit ein psychologisches Problem: dass Menschen, weil sie nicht in einen Arbeitsprozess eingebunden sind, sich selbst nicht mehr als Menschen akzeptieren. Das ist ein großer Unterschied zum ersten Teil, der Bearbeitung des Romans von Leonhard Frank: dass diese Verunsicherung stärker geworden ist, obwohl die materielle Not damals größer war.

Gibt es darin ein Element von Hoffnung oder Utopie?

Das wird mir ja von der Kritik immer vorgeworfen, dass es bei mir viel zu viel Hoffnung und Utopie gibt. Sentiment und wie man das immer nennen mag – natürlich gibt es das, allein schon dadurch, dass unter der Überschrift des Stücks steht: Für Freunde. Das ist der erste Hinweis, denn natürlich leben wir nicht nur zum Geldverdienen, sondern zuerst ist der Mensch ein soziales Wesen.

Sie selbst müssen nicht befürchten, dass Ihnen die Arbeit ausgeht. Sie sind viel beschäftigt, als Regisseur in Frankfurt, Hamburg, Berlin.

Wenn mich jemand fragt, was ich tun würde, um wieder Arbeit zu bekommen, wenn ich arbeitslos wäre, dann sage ich, das ist die falsche Frage. Es ist wichtiger, damit umzugehen zu lernen, dass es bald keine Arbeit mehr geben wird. Jedenfalls nicht mehr in dem Sinne, wie man sich Arbeit immer vorgestellt hat, Herstellung eines Produkts, das ich im besten Falle verkaufe. Arbeit besteht für mich darin, dass ich Zeichen von Welt verändere und mir damit etwas aneigne. Das Gegenargument ist: Nicht jeder Mensch kann Künstler werden. Aber das finde ich völlig falsch, jeder Mensch ist ein Künstler, wie Beuys es gesagt hat. Es gibt den Regenwald und noch ein paar Tiere und Kinder, und nicht jeder muss häkeln oder Texte aufsagen – es gibt genug Möglichkeiten, Kunst zu machen.