Besser ohne Schmalspurdemokraten

Die Würde des Menschen ist unantastbar – wenn ein Senator Gnadenlos das nicht versteht, sollte Bremen sich von ihm befreien

Ein Gastkommentar von Marieluise Beck

Der Mann unterlag dem Verdacht der Drogendealerei. Zwölf Tage nachdem er in staatlichen Gewahrsam genommen wurde, ist der Mann tot. Die „Exkorporation“ auf einer Bremer Polizeiwache wurde ihm zum Verhängnis. Ob er zu Recht oder zu Unrecht des Handels mit Drogen verdächtigt wurde, ob er ein Kleindealer zum Eigengebrauch oder ein Schwerkrimineller war, wird wohl nicht mehr aufgeklärt werden. Es spielt aber auch keine Rolle.

Die Würde des Menschen ist unantastbar und unwägbar. Dieses Gebot des Grundgesetzes kann nach dem Willen der Väter der Verfassung zu keiner Zeit und zu keinem Zweck relativiert werden. Dieser Grundsatz unterliegt keiner Einschränkung. Die Würde gilt nicht nur dem Deutschen, sie gilt jedem: Mann und Frau, Gesunden und Kranken, eingeschränkt Willensfähigen, sie gilt Angehörigen aller Ethnien, aller Religionen, Inländern wie Ausländern und – das ist die eigentliche Herausforderung dieses Gebots, sie gilt auch Verdächtigen und Kriminellen.

Die Achtung der Würde des Menschen – jenseits aller seiner Taten – bildet das Fundament von Rechtsstaat und Demokratie. Wer glaubt, man könne diese Würde je nach Gusto und Gelegenheit einschränken oder aussetzen, der hat nicht verstanden, dass damit nicht nur dem betroffenen Menschen Unrecht getan, sondern die Demokratie geschädigt wird, die uns allen ein Leben im Vertrauen auf Achtung und Würde ermöglicht. Demokratie und Rechtsstaat sind die Institutionen, die den Souverän – das Volk – in seinen Rechten schützen. Wer mit dem Rechtsstaat schludrig umgeht, wer demokratische Grundregeln verletzt, der entzieht der Bürgergesellschaft den Boden.

Vom Ringen um den demokratischen Gehalt der Verfassung, von einem möglichen Zwiespalt zwischen den Zielen der Strafverfolgung und rechtsstaatlichen Grundsätzen ist der Bremer Innensenator weit entfernt. Dass ein Mensch stirbt, weil seine Polizei versucht hat, ihm den Mageninhalt zu entwinden – das scheint ihn nicht einmal genug zu interessieren, als dass er sich gehalten sähe, sich wohl informiert der Öffentlichkeit zu stellen. Als handele es sich um eine Lappalie, schwadroniert ein Bremer Senator, „ob es tödliche Folgen sind, lass ich mal dahinstehen“, und betont, dass die Praxis der „Exkorporation“ selbstverständlich weiter gehen werde. Ein Krimineller habe mit körperlichen Nachteilen zu rechnen – selber Schuld also.

Dumm nur, dass der Beweis, ob es sich um einen Kriminellen handelt, vor der Exkorporation gar nicht erbracht werden konnte. Der rechtsstaatliche Grundsatz der Unschuldsvermutung macht diesem jungen Senator jedoch kein Kopfzerbrechen, seine offensichtliche Uninformiertheit als Herr über die Polizei scheinbar ebenso wenig.

Nach der Sitzung der Innendeputation wird der Skandal noch offensichtlicher: Da zaubert der Justizstaatsrat eine Weisung von 2001 aus dem Hut, die den Brechmitteleinsatz unter Gewaltanwendung untersagt. Dass der Innensenator davon nichts wusste, tut nichts zur Sache. Dienstherr ist er nur, wenn es Angenehmes kundzutun gibt. Und das Rathaus schweigt.

Nun könnte man davon ausgehen, dass eine ehrwürdige Stadt wie Bremen, die samt Roland auf eine stolze Geschichte der Demokratie zurückblicken kann, die Kraft hat, sich von einem großspurig-tumben Senator zu befreien. Doch siehe da, der Herr Senator steht nicht allein. So war zu lesen, dass seine Fraktion ihn mit stehenden Ovationen empfing. Ist das wirklich wahr – muss man es wirklich glauben, dass ein ganzer Teil der politischen Klasse es mit Demokratie und Rechtsstaat nicht so genau nimmt?

Nicht nur Hamburg war mit einem Richter Gnadenlos gesegnet, auch Bremen kann sich nun rühmen, einen Senator Gnadenlos zu halten, der aller Welt zeigt, wie in dieser Stadt aufgeräumt wird. Oder ist es vielleicht noch schlimmer? Kommt es manchem gerade recht, dass die Nachricht vom Tod des jungen Schwarzafrikaners in der Hansestadt Bremen über die Stadtgrenzen hinaus getragen wird, damit jeder Dealer hören möge, dass man hier nicht zimperlich mit ihnen umgeht?

Der Tod von Laya-Alama Conde findet statt in einem kleinen Land, das um seine Eigenständigkeit kämpft und dabei eine ehrwürdige Tradition reklamiert. Der Tod findet statt zu einer Zeit, in der der Unmut der anderen, ein unterstützungsbedürftiges Land Bremen auf Dauer zu erhalten, deutlicher vernehmbar wird. Der Zweistädtestaat braucht gute Gründe, will er seine Daseinsberechtigung verteidigen. Bisher war ein Grund die demokratische und liberale Tradition dieser Stadt.

Wenn ein Senator ohne Format zu der Erkenntnis nicht fähig ist, dass er als politisch Verantwortlicher für das Innenressort mit dem Rechtsstaat ein hohes Gut zu verteidigen hat, dann muss für ihn gedacht und gehandelt werden. Denn ein Land wie Bremen sollte sich einen Schmalspurdemokraten im Senat nicht leisten.