Jugendämter protestieren

KINDERSCHUTZ Die Allgemeinen Sozialen Dienste erklären sich in einem Brief an Ole von Beust für überlastet. Nach jedem toten Kind gebe es mehr Dokumentationspflichten

„Wenn wieder ein Kind stirbt, bekommen die Kollegen ein paar Stellen mehr“

Sieglinde Friess, Ver.di

VON KAIJA KUTTER

322 von rund 330 Mitarbeitern der Allgemein Sozialen Diente (ASD), also fast alle, haben einen Brief an CDU-Bürgermeister Ole von Beust unterzeichnet, dass sie überlastet seien. „Es gibt zu wenig Personal, es kommen ständig neue Aufgaben hinzu“, heißt es in dem Brief. „Die immer umfangreicher werdenden Dokumentationspflichten“ würden sie von ihrer eigentlichen Arbeit abhalten– „der konkreten Hilfe bei den Menschen“.

Über hundert ASDler hatten zuvor nach einer Ver.di-Tagung von ihrem Arbeitsalltag berichtet. „Immer wenn etwas passiert, wenn wieder ein Kind stirbt, bekommen die Kollegen ein paar Stellen mehr“, sagte Ver.di-Fachbereichsleiterin Sieglinde Friess. „Aber sie müssen auch immer mehr Dokumente ausfüllen.“

Ole von Beust habe vor vier Jahren nach dem Tod der siebenjährigen Jessica das Thema Kinderschutz zur Chefsache erklärt. „Aber seither hat er sich nicht mehr gekümmert“. Friess legte Zahlen vor, nach denen es im März bei 327 besetzten Stellen im Durchschnitt 56,94 Fälle pro ASD-Mitarbeiter gegeben habe. Dabei hatte eine modellhafte Personalbemessung im Bezirk Harburg, durchgeführt vom Institut für soziale Arbeit, ergeben, dass ein Mitarbeiter nur 27 Fällen verantwortungsvoll bearbeiten kann.

Eine entsprechende Bemessung für ganz Hamburg fordern die ASDler seit Jahren. „Doch wir werden immer wieder vertröstet“, sagte Friess.

„Von acht Stunden an Tag spreche ich maximal zwei Stunden mit den Kunden“, klagt eine ASDlerin. Der Rest gehe für Verwaltung drauf. Beispielsweise gehen beim ASD seit einigen Jahren alle Polizeimeldungen über Jugendliche ein. Selbst der kleinste Kaufhausdiebstahl müsse ins „Projuga“-Programm eingegeben, nach Dringlichkeit bewertet, mit einer Reaktion bedacht und an mehrere Instanzen rückgemeldet werden. Und seit dem Tod von Jessica, von der keiner wusste, wird sichergestellt, dass jeder Fall einen zuständigen Mitarbeiter bekommt. „Die Politik wiegt sich dadurch in einer Sicherheit, die es nicht gibt“, sagt ein ASDler. „In jeder Schublade liegen Fälle, die nicht bearbeitet sind“.

Besonders belastend sei, dass bei Todesfällen die Jugendämter neuerdings oft die Schuld bekämen, so eine Kollegin. „Es ist nicht unsere Schuld, dass Kinder sterben“.

Die Sozialbehörde reagierte verständnisvoll. „Wir sehen, dass die Arbeit eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit ist“, sagte Sprecherin Jasmin Eisenhut. Deshalb habe man die Zahl der besetzten Stellen seit 2001 schon „um rund 50 Prozent erhöht“. Die geforderte Personalbemessung werde „zu prüfen sein“.