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Archiv-Artikel

Zwischen Ball und Bio

Schalkes Jugend-Koordinator Helmut Schulte erzählt den Schülern der Fußball-Schule „Auf Schalke“ Geschichten über Ernst Kuzorra und Co. Dabei zieht er erfolgreich den Nachwuchs für die Profis heran

„Wir machen das alles, damit Deutschland bei der WM 2006 die Brasilianer überholt“

AUS GELSENKIRCHENROLAND LEROI

Helmut Schulte behauptet von sich, ein begnadeter Redner zu sein. „Wenn ich über Ernst Kuzorra referiere, hören alle zu“, sagt Schulte. Der 47-Jährige ist Jugend-Koordinator bei Schalke 04 und in dieser Funktion für die theoretische Ausbildung jener Jugendlichen, die die Fußballschule „Auf Schalke“ besuchen, verantwortlich. Jeden Montag zwischen 16 und 17 Uhr hat Schulte seinen großen Auftritt und unterrichtet den Nachwuchs in betriebs-relevanten Themen wie etwa der Schalker Clubgeschichte. Hier erfahren die Jungs, dass sich das große Vereinsidol Kuzorra als B-Jugendlicher anno 1922 in einem Spiel seine Konfirmationsschuhe ruinierte und anschließend dafür von seinen Eltern eine Tracht Prügel erhielt. Spannend sei das, meint der 18-jährige Serkan Durmaz, weil Schulte selbst trockene Themen interessant und lustig rüber bringen könne. „Der Kuzorra“, sagen sie nach dem Unterricht, muss schon ein echt cooler Typ gewesen sein.

Überhaupt gehe es in der Schalker Schule so locker zu, dass das Lernen besonderen Spaß bereite. Man mag das Jungs wie Durmaz abnehmen, denn die flockig vermittelte Theorie nimmt nur einen geringen Teil des Lernstoffes ein. Im Vordergrund stehen praxisbezogene Unterrichtseinheiten. Fünf Mal wöchentlich dürfen sich 30 Besucher der Gelsenkirchener Gesamtschule Berger Feld das Fach Fußball ganz offiziell in den Stundenplan schreiben. Zwischen Englisch und Kunst ziehen die Schüler nahezu täglich ihre Sportklamotten an, ohne dafür Noten zu bekommen. Unterstützt wird das Projekt vom NRW-Kultusministerium. „Das gibt‘s nur auf Schalke“, sagt Schulte – und ist stolz drauf.

Vor etwa fünf Jahren kam der ehemalige Bundesliga-Trainer auf die Idee, dass man die Qualität der hiesigen Talente nur durch mehr Übungsstunden verbessern könne. „Aus zeitlichen Gründen ist das nur möglich, wenn wir den Fußball in die Schule integrieren können“, erkannte Schulte. Er vermittelte seine Überlegungen dem Direktorium der Gesamtschule Berger Feld, die direkt neben dem Schalker Trainingsgelände beheimatet ist. „Ich war überrascht, dass alles ruck-zuck umgesetzt wurde“, erinnert sich Schulte, der auch bei Stadt und Land auf offene Ohren stieß. 20 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren, die im Schalker Nachwuchs Fußball spielten, wurden prompt zum Schulwechsel überredet und kommen seitdem in den Genuss eines zusätzlichen Trainings, das sich nur um technische Inhalte dreht. „Damit ersetzen wir den Straßenfußball früherer Tage“, sagt Schulte.

Mittlerweile sind 30 Schüler integriert und werden speziell gefördert. Das alles mit Unterstützung der Sportstiftung NRW, die den Sportlehrer Uwe Fester, der die Trainingseinheiten leitet, finanziert. Das Kultusministerium bewilligte für das Projekt 34 Lehrer-Wochenstunden. Denn die Schüler sollen trotz des Fußballtrainings keinen notwendigen Lernstoff verpassen. Wenn donnerstags zwischen 11.50 und 13 Uhr statt dem Biologie-Unterricht der Ball rollt, werden die Bio-Stunden am Nachmittag separat aufgeholt. Im Angebot steht außerdem eine zusätzliche Hausaufgaben-Betreuung, die zur Pflicht wird, wenn die Schulnoten auf ein mangelhaftes Niveau abfallen. „Die Tendenz, Leistungssport zu unterstützen, ist gerade seit dem Debakel bei der Europameisterschaft 2000 und in Hinblick auf die WM 2006 auch auf schulpolitischer Ebene sehr hoch“, meint Deutsch- und Kunstlehrer Arthur Preuß, der zur Koordination des Projekts von Seiten der Schule wöchentlich für drei Stunden vom Unterricht freigestellt wird.

Preuß weiß, dass den Fußballern jede Menge Extrawürste gebraten werden. Anders als den „normalen“ Berger Feld-Schüler wird ihnen ein Aufenthaltsraum mit Kühlschrank, Computer und Spind bereit gestellt. Nur eine handvoll der Talente wohnen in Gelsenkirchen-Buer, alle anderen werden jeden Morgen via eigens eingeführtem Fahrdienst vom heimischen Wohnort abgeholt und auch am Abend zurück chauffiert.

„Anfangs war das sehr anstrengend“, erzählt der A-Jugendliche Durmus Bayram, der im fünften Jahr die Schalker Schule besucht. Um 6.45 Uhr holt ihn sein Chauffeur, den Schalke 04 bezahlt, aus Duisburg ab. Nach Schule, Fußball und Hausaufgaben steht an vier Tagen ab 17.45 Uhr noch das reguläre Mannschaftstraining auf dem Programm. Erst gegen 21 Uhr ist der 16-Jährige wieder zu Hause. „Es lohnt sich, weil ich später Fußballprofi werden will“, sagt Bayram. Von nichts komme halt nichts – und seine Freunde würden ihn um die tollen Möglichkeiten beneiden: „Bei so einem Projekt darf nicht jeder mitmachen.“

Bayram zählt somit zu einer Elite. „Natürlich können wir die besten Talente besonders fördern und machen nicht jedem dieses Angebot“, sagt Schulte. 500.000 Euro steckt Schalke jährlich in seinen Fahrdienst. Ein Aufwand, der sich mit messbarem Erfolg rentiert. Mit Christian Pander, Michael Delura, Fabian Lamotte und einigen anderen ist die Liste jener Eigengewächse, die zuletzt Bundesligaspiele absolvierten, groß. „Fast alle unsere Nachwuchs-Stammspieler lernen in der Schalker Fußballschule“, erzählt Schulte, der die individuelle Entwicklung der Fußballer genau verfolgt. „Die Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Ball wird bei den Jungs deutlich erhöht.“ Das sei normal, weil sonst jede Trainingseinheit für die Katz wäre - und die Besucher der Schalker Fußballschule trainieren immerhin dreimal so häufig wie andere Talente. „Wir machen das alles, damit Deutschland bei der WM 2006 die Brasilianer überholt“, schmunzelt Preuß.

Als Extra-Bonbon gilt hierbei Schultes Theoriestunde, in der es nicht immer um Kuzorra geht. „Wir behandeln ebenso den Umgang mit Drogen oder ernährungsrelevante Dinge“, erzählt Schulte, der auch Mitarbeiter von der Schalker Pressestelle zum Referat bestellt. So könnten die Youngster lernen, wie sie sich später, wenn sie denn mal Profis sind, in der Öffentlichkeitsarbeit zu verhalten haben. „Eine Rundum-Ausbildung eben“, sagt Schulte, der stolz darauf hinweist, dass das Schalker Projekt Vorbildcharakter habe. Fast alle Bundesliga-Vereine hätten um Anleitungen gebeten, um sich eine Kopie zu erstellen. „Bei den meisten scheitert das, weil sie keine Gesamtschule auf dem Vereinsgelände haben“, weiß Schulte. Redegewandt fügt er hinzu: „Diesbezüglich haben wir Schwein gehabt – und das Schwein versilbert.“