Schutz der Gensphäre?

Vom Einbruch des Geschlechterkampfs in die aktuellen Bilder von Paarbeziehungen sowie Vater- und Mutterschaft: Was ist eigentlich so irritierend an dem angekündigten Gesetzentwurf zum Verbot von heimlichen Vaterschaftstests?

Abstammungsverhältnisse sind wichtig. Das weiß ein jeder. Dennoch ist die Aufregung, die der angekündigte Gesetzentwurf zur Regelung von Vaterschaftstests gerade auslöst, nicht allein mit einem Hinweis auf die Bedeutung von Genealogien zu erklären. Das Thema der „Kuckuckskinder“ stand schließlich schon länger auf der Agenda diverser Blattmacher, allerdings nur in jenem medialen Bereich von Bild bis Spiegel, in dem man Themen über reißerische Thesen verkauft à la „Immer mehr Seitensprünge von Frauen“ oder eben „Immer mehr Väter zweifeln Vaterschaft an“.

In diesem Bereich wäre es auch verblieben, hätte es die Gesetzesinitiative nicht gegeben. Mit der Initiative aber hat das Thema die Diskursschranken des Kracher-Journalismus verlassen und ist zu einem allgemeinen Thema geworden (was Ihnen unsereiner anhand von vielen privaten Gesprächen, Redaktionskonferenzen und diversen publizierten Artikeln plausibilisieren könnte). Warum?

Weil, so mein Vorschlag zur Hermeneutik dieses Vorgangs, es nun nicht mehr um das Thema der „Kuckuckskinder“ selbst geht. Noch nicht einmal mehr um das Thema der heimlichen Vaterschaftstests, die mit dem angekündigten Gesetz verboten werden sollen (beides sowieso Themen, die man immer bei „den anderen“ vermutet, bei sich selbst aber ausschließt). Sondern um die Implikationen, die die Gesetzesinitiative allgemein auf das Verständnis von Paarbeziehungen hat.

Man hat sich inzwischen ja ziemlich daran gewöhnt, solche Beziehungen vom Pathetischen aufs Pragmatische herunterzukochen – und der Lackmustest dafür sind die Kinder. Die werden nicht mehr, wie in idealistischeren Zeiten, als Verwirklichung der Liebe der Gatten verstanden, sondern als gemeinsames „Projekt“ eines Paares, das es gemeinsam „gut hinzukriegen“ gilt. Von der Liebessemantik sind Eltern also zur Managementsprache der Kinderbetreuung übergegangen.

In diese Pragmatik bricht der angekündigte Gesetzentwurf nun überraschend archaisch ein – und zwar vollkommen egal, ob man ihn nun gutheißt oder nicht. Vom möglichen Misstrauen von Männern in Bezug auf die tatsächliche Herkunft der Kinder hatte man vorher schon mal etwas gehört. Aber welche Frau, die Absichten zur Familiengründung trägt, hätte denn im Ernst noch daran geglaubt, sich einmal tatsächlich mit so etwas herumschlagen zu müssen? Und welcher Mann wäre auf die Idee gekommen, einmal eine Meinung dazu entwickeln zu müssen, dass ein Gesetz prinzipiell weibliche Lügen sanktionieren könne, und zwar zugunsten einer funktionierenden Mutter-Kind-Beziehung, bei der die Frage, wer der wirkliche Vater ist, nur eine nebengeordnete Rolle spielt – zwar nicht Intention, aber doch immerhin lebensweltlich relevanter Seiteneffekt des angekündigten Gesetzes? Und noch weiter: Wer hätte denn überhaupt gedacht, dass es noch Bereiche gibt, in denen die Interessen von Männern und Frauen sich prinzipiell gegenüberstehen können?

Während die Werbung beispielsweise endlich dazu übergegangen ist, ironische Väter- und Mütterbilder durchzuspielen (großartig etwa die aktuellen Kino- und Fernsehspots für die „Sportschau“, sehr hübsch auch die Grimassen schneidende Mutter vor dem Handy mit Videofunktion), scheint einen der Gesetzentwurf von der Gemeinsamkeitspragmatik jäh herunterzuholen. Er mag noch so sachlich mit dem Verweis auf das Recht des Kindes auf Schutz seiner Gensphäre begründbar sein. Das Irritierende an ihm ist aber nicht nur, dass er aus einer überwunden geglaubten Zeit in die heutige hineinzuragen scheint – aus der Zeit des Geschlechterkampfs, wenn nicht sogar aus der Zeit, als es noch Frauen und Kinder vor falschen, männlich dominierten Ehrbegriffen zu schützen galt. Er passt nicht zu den aktuellen Bildern, die Mutter- und Vaterschaft inzwischen so hell und selbstbestimmt repräsentieren. DIRK KNIPPHALS