: Kino des genauen Blicks
Der 7. Bremer Filmpreis wurde gestern im Rathaus an Luc und Jean-Pierre Dardenne verliehen. Auch wenn die hierzulande kaum einer kennt
Bremen taz ■ Soll man die Berühmten noch mehr feiern und sich in ihrem Glanz sonnen oder selbst Zeichen setzten und einen Preis auch mal an KünstlerInnen verleihen, die hier kaum einer kennt? In diesem Jahr hat die Jury des mit 8.000 Euro dotierten Bremer Filmpreises der Kunst- und Kulturstiftung der Sparkasse Bremen sich für das zweite Extrem entschieden, denn auch die meisten Cineasten Bremens mussten erst mal nachfragen, als sie die Namen der Preisträger erfuhren. Luc und Jean-Pierre Dardenne? Nie gehört!
Ja, die drei Filme La Promesse, Rosetta und Le Fils, mit denen die Belgier seit 1997 in Frankreich und in ihrem Heimatland Furore machten, liefen auch in Bremen jeweils ein paar Tage lang im Kino 46. Im Gegensatz aber zu den Preisträgern der letzten Jahre wie Bruno Ganz, Marcel Ophuls, Tilda Swinton und Kati Outinen treten die beiden Regisseure so bescheiden hinter ihren Werken zurück, dass ihr Promi-Wert gegen Null geht.
Die Jury – Ex-tazze Katja Nicodemus, Filmemacher Andres Veiel und der Leiter des Berliner Filmbüros Hans Helmut Prinzler – rühmt in ihrer Begründung „die einzigartige Mischung aus einer zutiefst menschlichen Haltung und der formalen Nüchternheit, mit der sie das Kino bereichern und erschüttern“. Alle drei Filme sind in grauen belgischen Industrielandschaften angesiedelte Dramen um Schuld und Vergebung – kompromisslos, präzise beobachtet und trotz ihrer vermeintlichen Kunstlosigkeit in der Wirkung genau kalkuliert. „Wir wollen die unsichtbaren Bewegungen der Protagonisten zu einer Entscheidung hin filmen“, sagte Luc Dardenne gestern, „wir wollen verknappen und dadurch die Essenz der Menschen finden.“
So nah, wie dies im Kino nur möglich ist, versuchen sie ihren Figuren jeweils zu kommen. Die Handkamera scheint dabei in fast jeder Einstellung am Menschen zu kleben, mit extremen Nahaufnahmen lauert sie förmlich auf die kleinsten Gesten. Kein Wunder, dass in Cannes jeweils die HauptdarstellerInnen Oliver Gourmet in Der Sohn und Emilie Dequenne in Rosetta mit Goldenen Palmen belohnt wurden.
Oft schaut die Kamera in ihren Filmen den Protagonisten buchstäblich über die Schulter und nimmt dadurch eine fast subjektive Perspektive ein. Dieses vorherrschende Stilmittel hat auch die Bremer Künstlerin Mechthild Böger erkannt, die die diesjährige Preistüte gestaltet hat. Jedes Jahr wird von einem anderen hiesigen Designer eine Art Wundertüte gebastelt, und diese ist diesmal besonders gut gelungen. Nicht nur, weil sich in ihr eine gehäkelte Filmeinstellung (!) findet, sondern auch, weil diese eben die für die Gebrüder Dardenne so typischen Rückenansicht zeigt. Regisseure, die als reine Handwerker gängiges Unterhaltungskino machen, seien „Eisenwarenhändler“, sagt Jean-Pierre Dardenne.
So obskur wie sie selber in Deutschland ist der Bremer Filmpreis übrigens in Frankreich und Belgien nicht. Die beiden wissen um ihn, seit sie immerhin in der Liberation gelesen haben, dass er an Agnès Varda verliehen wurde. Wenn das kein dicker Pluspunkt im Kulturhauptstadts-Zeugnis ist.
Wilfried Hippen
Die drei Filme von Jean-Pierre und Luc Dardenne werden in der nächsten Woche im Kino 46 gezeigt