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Archiv-Artikel

Buggy-Stau im Szeneviertel

Berlins Stadtteil Prenzlauer Berg gilt als Modellfall einer gebärfreudigen Republik

BERLIN taz ■ Einen Hort der Hoffnung im kinderlosen Deutschland gibt es noch. Ausgerechnet in der Hauptstadt liegt er, im hoch verschuldeten Berlin, das Schulen schließt und Kita-Gebühren erhöht. Dass der Nachwuchssegen auch noch ein Szeneviertel, den Stadtteil Prenzlauer Berg getroffen hat, war inzwischen schon der New York Times einen Bericht wert. Zahlen, wie sie zuletzt die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte, sind nun mal beeindruckend: Während im Rest der Republik die Geburtenrate bei 1,4 liege, betrage sie im Prenzlauer Berg 2,1, hieß es da. Um fast ein Drittel habe in den letzten acht Jahren der Anteil an Kindern unter drei Jahren zugenommen.

Und wirklich, der Kindersegen ist augenfällig. Kinderspielzeugwarenladen reiht sich an Kindertagesstätte, auf den Spielplätzen herrscht Buggy-Stau, und die Bioläden schießen aus dem Boden.

Doch so einfach ist das nicht mit der Gebärfreude im Szenekiez. „Das ist ein Märchen“, sagt Jürgen Paffhausen vom Statistischen Landesamt Berlin. Nach Berechnungen seines Amtes und des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung wurden 2003 im Prenzlauer Berg je tausend Frauen im Alter zwischen 15 und 45 Jahren 35 Kinder geboren. Die Geburtenrate sei damit eine der niedrigsten in ganz Berlin. Der hohe Kindersegen hängt für Paffhausen vielmehr mit der besonderen Bevölkerungsstruktur des Viertels zusammen. 38 Prozent der Frauen sind zwischen 20 und 35.

Anfang der Neunziger strömten Künstler und Studenten in den heruntergekommenen Stadtteil und verwandelten ihn in eines der Trendviertel Berlins. Die Künstler sind inzwischen abgewandert, die Studenten aber blieben. Die Akademiker haben nun oft lukrative Jobs in Wirtschaft und Medienbranche und denken, Mitte dreißig, ans Kinderkriegen. Für diese Klientel bietet der Prenzlauer Berg den richtigen Mix von Infrastruktur und kinderfreundlichem Klima. Zu verdanken hat das Viertel das aber alten Zeiten: Die außergewöhnlich hohe Dichte an Kindertagesstätten bestand beispielsweise schon vor dem Mauerfall. So scheint der Prenzlauer Berg ein selbstreferentielles System geworden zu sein: Wo schon Familien mit Kindern sind, entsteht zusätzliche Infrastruktur, junge Familien folgen dann dem guten Ruf. JOHANNES HONSELL