: Fortschritt und Stagnation
„Nachhaltige Agrarwirtschaft und Innovationen“: Der Titel des Ost-West-Agrarforums verspricht Fortschritt. Doch der verpuffte schon oft. Biobetriebe sollten sich auf herben Ostwind einrichten
VON TILMAN VON ROHDEN
Während 100.000 Menschen durch die Messehallen lustwandeln und sich die Bäuche füllen, sitzen einige andere in langen Stuhlreihen, hören zu und machen sich Notizen, statt zu futtern. Dabei handelt es sich um das Rahmenprogramm der Grünen Woche. Es findet jedes Jahr statt. Und auch dieses Mal trifft man sich zum Ost-West-Agrarforum. Heuer in der 12. Auflage.
„Nachhaltige Agrarwirtschaft und Innovationen – Chance und Herausforderung für Politik und Gesellschaft“, darum geht es am 22. Januar mit Bundesministerin Renate Künast, ihren Kollegen aus Russland, der Türkei, den Niederlanden und Lettland sowie der EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel. An Gesprächsstoff dürfte es nicht mangeln: EU-Osterweiterung, Gentechnik, Liberalisierung und Globalisierung der Agrarwirtschaft, nachwachsende Rohstoffe – allein schon die geläufigsten Stichwörter zeigen den Facettenreichtum des Themas.
Zu wünschen wäre den Diskutanten, dass sie bei diesem Thema zunächst einmal innehalten. Denn trotz aller fantastischen Innovationen der Vergangenheit – heute kann ein Bauer für rund 140 Mitmenschen das Notwendige produzieren, 1950 konnte ein Landwirt nur zirka zehn Menschen ernähren –, der Weltgemeinschaft der Hungernden kam dieser Produktivitätsfortschritt kaum zugute. Die Zahl der Unterernährten liegt nach Schätzungen bei rund 840 Millionen. Mit steigender Tendenz. Dafür sind die Lebensmittelpreise hierzulande relativ gesunken. Heute geben die Bundesbürger nur noch einen halb so großen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel aus wie vor 35 Jahren.
Doch stellt solch ein Produktivitätsfortschritt bis auf weiteres keinen Segen für die Menschen in den Entwicklungsländern dar, die ihr Einkommen überwiegend als Produzenten von Lebensmitteln verdienen. Die Apologeten der grünen Gentechnik wittern hier ihre Chancen und meinen, mit ihren Ideen könnte das Welthungerproblem gelöst werden. Doch wahrscheinlicher ist das Gegenteil, denn die Nutzer dieser Technik müssten bei deren industriellen Herstellern jährlich einkaufen und würden das sauer verdiente Geld so schnell wieder loswerden.
Allerdings ist ein Verzicht auf die Gentechnik nicht schon die Lösung des Problems. In der Ukraine und in Russland, so Stephan von Cramon-Taubadel, Moderator des Agrarforums, wird die Gentechnik aus Kostengründen kaum eingesetzt. Dennoch sei deren Landwirtschaft längst nicht sorgenfrei zu betrachten oder als nachhaltig zu würdigen. Denn Begriffe wie „Bio“ oder „Öko“ spielten dort keine Rolle, auch wenn Kunstdünger dort ebenfalls aus Kostengründen kaum eingesetzt würden.
Zum Problem für deutsche Biobauern könnten diese Länder aber dennoch werden, schätzt von Cramon-Taubadel. Denn wenn sie erst einmal entdeckt hätten, dass mit Bioprodukten gutes Geld zu verdienen sei, könnten sie ihre eh schon exportorientierte Produktion umstellen. „In diesem Falle würden die klein strukturierten Biobetriebe Deutschlands Schwierigkeiten bekommen, weil sie mit den Großbetrieben Russlands und der Ukraine kaum konkurrieren könnten.“ Deren Marktmacht ist nicht zu unterschätzen. Beispielsweise könnten diese beiden Länder in Zukunft 15 bis 20 Prozent des weltweiten Getreidemarkts für sich reklamieren, so von Cramon-Taubadel. Allerdings habe die EU bei der Ukraine schon in der Vergangenheit die Notbremse gezogen, also eine Marktabschottungspolitik betrieben.
Mal abgesehen von den deutschen Handelsbeziehungen mit verschiedenen Ländern, die nach der EU-Osterweiterung jetzt einer Konkretisierung bedürfen, ist beim Thema agrarwirtschaftliche Innovationen, so von Cramon-Taubadel, vieles im Dunkeln. Ungeklärt sei, wie es in der Forschung weitergehen solle. Seine Formulierung: „Es muss dort geforscht werden, wo Probleme sind“, könnte auch zur Fortschreibung einer bedenklichen Tendenz genutzt werden: Die Forschungsausgaben für den Agrarbereich sinken international. Dafür engagieren sich immer mehr privatwirtschaftliche Unternehmen. „Diese denken in erster Linie an ihre Gewinne und nicht an Entwicklungsmärkte und deren Bedürfnisse“, sagt von Cramon-Taubadel.