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Archiv-Artikel

„Sprache ist Heimat“

Maria Bamberg ist in Patagonien aufgewachsen. Ihre Biografie spiegelt viele Probleme von Migranten. Nur aus der umgekehrten Perspektive

„Mein Vater hatte keinen Beruf gelernt. – Offizier, das ist doch kein Beruf“

VON WALTRAUD SCHWAB

Wahnsinnig schön ist Patagonien, meint Maria Bamberg und blättert sich durch einen Bildband, in dem das südliche Argentinien abgebildet ist. Dann zeigt sie auf das Foto einer grasbewachsenen Steppe, die sich gewaltig vor einem braunen, schneebedeckten Berg ausbreitet. Weich fließt die Landschaft ineinander über und verdeckt durch ihre zarte Gestaltung die harten Gegensätze: Da vorne Trockenheit, da hinten Eis. Darüber wölbt sich der blaue Himmel durchzogen von Wolken. Den scharfen Wind, der sie vertreibt, sehe man auf den Bildern nicht, meint die 89-Jährige. Gleichklang, Harmonie der Natur, sei eine Täuschung in Patagonien.

Die gebürtige Berlinerin muss es wissen. Schließlich ist sie dort, in dieser Ödnis, dieser Wildnis, aufgewachsen. Wenn sie die Bilder anschaut, sucht sie nach solchen, auf denen nichts außer Landschaft zu sehen ist. Menschenleer soll es sein. Wie damals. Heute sei mehr los, wegen des Tourismus, meint Bamberg.

Maria Bamberg ist, was man Migrantin in zweiter Generation nennt. In Berlin ist sie geboren. Als sie sieben Jahre alt ist, holt der bereits vier Jahre zuvor nach Argentinien ausgewanderte Vater seine Frau Ella und seine drei Töchter nach. Der Vater, arbeitslos gewordener Offizier nach dem Ersten Weltkrieg, versucht in Patagonien eine zweite Karriere als Verwalter einer Schaffarm.

Was den Migranten, die in den 60er-Jahren nach Deutschland kamen, gerne vorgeworfen wurde, das gilt – nur dieses Mal aus der umgekehrten Perspektive – auch für Marias Eltern. Sie dachten: Der Aufenthalt in Argentinien sei vorübergehend. Spanisch zu lernen brauchten die Kinder nicht. „Wir sind Deutsche“ sei oberstes Identitätskriterium der Eltern gewesen, erzählt Bamberg. Dies, obwohl sie mehr als 15.000 Kilometer von Europa entfernt wohnten und am Ende dort auch gestorben sind.

Das Leben in der argentinischen Pampa ist hart. Weniger für die drei Mädchen als für die aus gutbürgerlichem Hause stammenden Eltern. „Ich habe erst viel später verstanden, dass mein Vater gar keinen Beruf gelernt hatte. Offizier, das ist doch kein Beruf“, sagt Bamberg.

Lebenspraktischer veranlagt war wohl die Mutter. Bevor sie auswanderte, machte sie einen Hebammenkurs. Das beförderte sie, so geht es aus ihren Briefen, die als Buch vorliegen, hervor, bei der umliegenden Landbevölkerung mitunter in den Stand einer begnadeten Heilerin.

1929 werden Maria und ihre Schwestern zurück nach Berlin geschickt. Die Mädchen sollen eine deutsche Schulbildung erhalten. Sie leben bei Verwandten in Dahlem und bleiben bis 1935. Der Nationalsozialismus behagt Bamberg nicht. Deshalb geht sie nach dem Abitur nach Argentinien zurück. Erst jetzt lernt sie Spanisch und macht das Examen als Lehrerin und als Übersetzerin für Deutsch und Englisch.

Identität – wer bin ich? – ist Schlüsselfrage unter Migranten. „Bin ich, was sich durch die alte Kultur erklärt oder durch die neue?“ Als Bamberg 1940 die argentinische Staatsbürgerschaft beantragt, verlangt der Vater, dass sie den Antrag umgehend zurückziehe. Sie sei Deutsche und bleibe es. Bamberg hält sich nicht daran. Sie hält sich auch nicht an ein Versprechen, „nie einen Juden zu heiraten“, das sie ihren Eltern geben musste, nachdem sie sich in einen jüdischen Emigranten verliebte. Bamberg meint, die Eltern hätten das nicht aus Antisemitismus gefordert, sondern aus Angst um ihre eigene Familie. Die Mutter ihres Vaters war jüdisch. Obwohl die Eltern seit 20 Jahren in Argentinien lebten, spürten sie das Damoklesschwert der Nürnberger Rassegesetze über ihren Köpfen.

Als Bamberg sich erneut in einen jüdischen Berliner Emigranten verliebt und ihn gegen den Willen ihrer Eltern heiratet, brechen diese vorübergehend den Kontakt zu ihr ab. In den nächsten fast 20 Jahren versucht das Paar in der argentinischen Gesellschaft anzukommen. Dafür muss ihr Mann, der sein Arztexamen in der Schweiz gemacht hatte, in Argentinien noch einmal Abitur und Studium wiederholen, da die argentinischen Behörden seine Zeugnisse und Examen nicht anerkannten.

Wenn Maria Bamberg ihre Geschichte erzählt, klingt sie einfach. Mit einem Pragmatismus, der mitunter an Leichtsinn grenzt, hat sie sich dem, was auf sie zukam, gestellt und es gemeistert. Irgendwie. Sie meint, das habe mit den Migrationserfahrungen zu tun. Als Migrantin sei man gezwungen, die Dinge immer aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Weil sie gesehen habe, dass in anderen Umgebungen Probleme anders gelöst werden, sei sie flexibler und offener geworden.

Als die politische Situation in Argentinien absehbar in eine Militärdiktatur mündet, denkt ihr immer wieder vom Heimweh geplagter Mann an eine Rückkehr nach Berlin. 1963 ist es so weit. „Unsere vier Kinder, die zwischen 16 und 9 Jahren waren, haben wir, wie in Migrationsgeschichten üblich, nicht gefragt, ob sie das wollen.“ Heute sind die vier über die Welt verstreut.

In Berlin müssen sich die Bambergs eine neue Existenz aufbauen. Im Zuge dessen erlernt Maria Bamberg ihre nächsten Berufe. Zum einen wird sie die Sprechstundenhilfe ihres Mannes, der eine Arztpraxis eröffnet. Zum anderen fängt sie an zu übersetzen, um ihr Spanisch nicht zu verlernen. In 20 Jahren wird sie zu einer der renommiertesten Übersetzerinnen lateinamerikanischer Literatur. Ihr Lieblingsautor: Carlos Fuentes.

„Sprache ist Heimat“, sagt Bamberg. Gut, Berlin sei ihr in den letzten Jahren auch zur Heimat geworden, wenn es denn wichtig ist, das auf einen Ort zu beziehen. Was sie allerdings bei sich beobacht: dass sie allmählich wieder orientierungslos werde in der Stadt. So schließt sich der Kreis.

Maria Bamberg: „Zwischen Argentinien und Deutschland“, tranvía, 2004. Das Buch mit den Briefen der Mutter, „Ella und der Gringo mit den großen Füßen“, ist nur antiquarisch erhältlich