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Archiv-Artikel

„Springer soll sich zu Kirchenfrevel äußern“

Die Debatte über eine Rudi-Dutschke-Straße, so Michael Cramer, wirft Licht auf ein dunkles Kapitel Baugeschichte: den Abriss einer Kirche für Springer

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Herr Cramer, ein Statement aus Brüssel zur Frage: Rudi-Dutschke-Straße – ja oder nein?

Michael Cramer: Eindeutig ja! Ich finde, es hat was, wenn die Rudi-Dutschke-Straße dabei auf die Axel-Springer-Straße stößt. Das wäre alltägliche Geschichtswerkstatt. Die beiden Kontrahenten haben ja einiges gemeinsam.

Was?

Sie haben sich nie mit der Spaltung Deutschlands abgefunden und sich immer für die deutsche Einheit eingesetzt. Dutschke konnte die Wiedervereinigung leider nicht mehr erleben. Außerdem haben beide für das Existenzrecht Israels gestritten und sich um die deutsch-israelische Versöhnung bemüht.

Wenn die beiden als Straßennamen an der Ecke aufeinander stoßen würden, wäre das wie ein Handschlag?

Einer mit 30-jähriger Verspätung. Zu ihren aktiven Zeit standen die beiden auf verschiedenen Seiten der Barrikade.

Gegner der Umbenennung argumentieren: Die Kochstraße steht historisch für eine lange Tradition des freien Zeitungswesens. Das sei nur die halbe Wahrheit, sagen Sie.

Die Kochstraße steht für das alte Zeitungsviertel in Berlin. Deshalb bin ich auch nicht dafür, dass die ganze Straße umbenannt wird, sondern nur der östliche Teil zwischen Checkpoint Charlie und der Lindenstraße. Dieser östliche Teil wurde sowieso erst 1964 der Kochstraße zugeschlagen.

Erst nach dem Mauerbau?

Sicher. Die eigentliche Kochstraße war immer sehr kurz und mündete auf den Platz vor der Jerusalemkirche, den es nicht mehr gibt. Er ist jetzt Teil der Kochstraße. Die Jerusalemkirche aber war die älteste Kirche der Friedrichstadt. 1484 wurde sie zum ersten Mal erwähnt. Das war ursprünglich eine kleine Kirche, die aber 1838 von Schinkel umgebaut und im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt wurde. 1961, kurz vor dem Mauerbau, wurde sie gesprengt, damit Springer seinen damaligen Neubau hochziehen und einen Parkplatz anlegen konnte.

Eine Kirchensprengung auf Westberliner Territorium?

Unglaublich, aber wahr. Die Jerusalemkirche gehörte vor der Sprengung zur rumänisch-orthodoxen Gemeinde in Berlin. Verkauf und Sprengung waren nur möglich durch einen sensationellen Deal zwischen der kommunistischen Regierung von Rumänien, dem Westberliner SPD-Senat unter Willy Brandt und Axel Springer.

Sie meinen: Aus heutiger Sicht drei wahrhafte Brüder im Geiste?

Zumindest in dieser Frage. Dass Springer, der kälteste Kalte Krieger, und Brandt, der überzeugteste Gegner Ulbrichts, und Rumänien, eines der stalinistischsten Regime in Europa, einen Geheimvertrag aushandeln, um die älteste Schinkelkirche der Friedrichstadt abzureißen – nicht weil die Kirche kaputt war, sondern weil Springer den Platz haben wollte –, das ist ein Skandal. Mit der Debatte um die Umbenennung kommt endlich Licht in dieses dunkle Kapitel.

Die Sprengung von Kirchen war immer etwas, was vor allem der Ostberliner Regierung angelastet wurde.

Wenn man sich vor Augen führt, dass das Charlottenburger Schloss, der Dom, der Gropiusbau im Krieg schwer beschädigt und wieder aufgebaut wurden, gab es keinen Grund, die Jerusalemkirche abzureißen. Es sei denn, man stützte Springer. Der hat ja selbst gesagt, dass es ohne Abriss keinen Neubau gegeben hätte. So steht es sogar in der Verlagsbroschüre von Springer.

Und Sie meinen, um daran zu erinnern, sollte die Umbenennung genutzt werden?

Es wäre ein Kick, auch die Aufarbeitung dieser Geschichte anzugehen. Sie erklärt wahrscheinlich, warum der Springer-Verlag bisher in der Umbenennungsdebatte so laut schweigt. Es wäre gut, wenn er sich zu diesem Kirchenfrevel endlich äußern würde.

Wie finden Sie es aber, dass ausgerechnet die taz im Verbund mit Dutschke den Beschluss von Friedrichshain-Kreuzberg durchbricht, Straßen erst wieder nach Männern zu benennen, wenn gleich viele Straßen nach Frauen wie nach Männern benannt sind?

Den Beschluss stütze ich natürlich, aber es gibt keinen Beschluss ohne Ausnahme. Als Ausgleich fordere ich die drei Parteien, die sich in der BVV für Dutschke einsetzen, auf, in den anderen Bezirken verstärkt Straßen nach Frauen zu benennen.

Berlin beschäftigt Sie also auch noch in Brüssel?

Ich bin Berliner, der für Deutschland europäische Politik gestaltet.

Und Straßenumbenennungen gehören dazu?

Die Mauer gehört dazu. Ohne Solidarność hätte es den Fall der Mauer nicht gegeben, und ohne Mauerfall gäbe es kein wiedervereinigtes Europa.