: Flöte spielen im besetzten Land
MUSIK Im Westjordanland ein Instrument zu erlernen, ist ein Hindernislauf
Drei Musikschulen gibt es in den palästinensischen Autonomiegebieten. Den Anfang machte vor 15 Jahren das Nationale Musikkonservatorium Edward Said, das der palästinensischen Universität Bir Zeit angegliedert ist. ■ 1999 gründeten der palästinensische Kulturtheoretiker Said sowie der Dirigent und Komponist Daniel Barenboim das West-östliche Diwan-Orchester, in dem arabische und israelische Musiker spielen. Die palästinensischen Musiker haben fast alle das Said-Konservatorium abgeschlossen.■ 2002 entstand al-Kamandjati, und 2003 wurde das Musikzentrum Said-Barenboim eröffnet, das als einziges nur klassische westliche Musik unterrichtet. Alle drei Musikschulen haben ihr Zentrum in Ramallah und unterhalten Zweigstellen an anderen Orten des Westjordanlands, das Konservatorium hat auch einen Ableger in Jerusalem. Al-Kamandjati ist in mehreren palästinensischen Flüchtlingslagern vertreten, darunter in Dschenin. An den drei Schulen erhalten insgesamt rund 1.000 Palästinenser Musikunterricht.
VON SUSANNE KNAUL
Wenn Dalia Moukarker ihre Querflöte an die Lippen führt, vergisst sie für eine Weile Besatzung und Trennmauer. „Die Musik versetzt mich in eine bessere Welt“, sagt die zarte 16-Jährige. „Unsere Welt ist nicht gut.“ Bis zu zwölf Stunden übt Dalia in den Ferien – wenn ihr gemartertes Handgelenk es zulässt. Erst vor drei Jahren hat sie mit dem Unterricht begonnen. Aber sie spielt bereits so virtuos, dass sie sich bei einem professionellen Orchester bewerben könnte – wenn die Orchester denn so junge Flötistinnen aufnähmen.
Drei Musikschulen gibt es im Westjordanland. In diesem politisch aufgeheizten Territorium ernten die Musikstudenten immer noch neugierige Blicke, wenn sie mit ihren Geigen- und Cellokästen zum Unterricht gehen. Al-Kamandjati, 2002 von dem ehemaligen Violinisten Ramzi Aburedwan gegründet, ist wohl die politischste unter ihnen. Die Schule sucht ihre Schüler gezielt in den Flüchtlingslagern. „Wir wollen die Kinder nicht aus ihrer Realität herausholen“, sagt Said Karzun von al-Kamandjati, „sondern ihnen trotz der schwierigen Umstände die Möglichkeit geben, Musik zu hören und selbst welche zu machen“, so wie es andere Kinder auf der Welt tun. „Es ist nicht so, dass wir früher Steine geworfen hätten und heute Musik machen“. Al-Kamandjati will nicht gegen die Besatzung kämpfen, sondern trotz der Besatzung „eine Generation von Musikliebhabern heranziehen“.
Im Said-Barenboim-Musikzentrum hingegen geht es nur um Musik. Das Zentrum liegt in einem Bürohaus in Ramallah, nur ein paar Schritte vom palästinensischen Parlament entfernt. Besucher werden von leisen Klaviermelodien und den Tonleitern eines Geigenschülers empfangen. An den Wänden im Flur hängen Bilder von Konzerten der jungen Musiker und vom „Maestro“ Daniel Barenboim bei der Arbeit mit seinem West-östlichen Diwan-Orchester, in dem Israelis und Araber gemeinsam musizieren. Im Said-Barenboim-Zentrum lässt man sich von den Musiklehrern, die an Privatschulen unterrichten, die Namen geeigneter und interessierter Kinder geben, unter denen dann die besten ausgewählt werden.
Dalia lebt in Bethlehem und ist Schülerin des Said-Barenboim-Zentrums. Für den Unterricht fährt sie aber nicht nach Ramallah, sondern in den Nachbarort Beit Dschala. Da beide Orte weitgehend von der israelischen Trennmauer umgeben sind, kommen die Musiklehrer einmal wöchentlich von Ramallah hierher, um ihren Schülern die beschwerliche Reise zu ersparen.
In Beit Dschala findet der Musikunterricht in einer Schule statt: der christlichen Schule Talitha Kumi. Zwei etwa zehnjährige Mädchen halten neugierig das Ohr an die Tür zur Aula, in der Dalia ihre Flötenstunde hat. „Das sind Synkopen, keine Triolen“, mahnt der Lehrer Ilia Karadjov, und Dalia nickt brav. Von Zeit zu Zeit schleicht sich noch eine falsche Note ein. In knapp drei Wochen soll sie ein Konzert geben. Noch klappt es nicht so, wie der strenge Lehrer fordert.
Ihre nächste Herausforderung könnte für Dalia die Aufnahme ins „Palestine Youth Orchestra“ sein. Dessen rund 60 Mitglieder stammen aus dem Westjordanland, Jordanien, Ägypten und Syrien. Allerdings spielen sie vorwiegend orientalische Musik, während Dalia vor allem westliche Klassiker übt. Anschließend könnte sie sich beim West-östlichen Diwan-Orchester bewerben. Einen sehr jungen Musiker gibt es dort bereits: Bakr Khleifi aus Ramallah spielt dort Kontrabass, gemeinsam mit Nabil Shebata, einem ehemaligen Solo-Kontrabassisten der Berliner Philharmoniker.
Aus Berlin stammt auch Dalias Lehrer Ilia Karadjov. Er hat sich von seinem Job als Musiklehrer beurlauben lassen, um zwei Jahre lang im Westjordanland zu arbeiten. „Entwicklungshilfe per Musikunterricht“, wie er es nennt.
„Die Lebenssituation der Palästinenser mit all ihren Einschränkungen, der Mauer und den Kontrollpunkten nimmt mich sehr mit“, klagt Karadjov. Dass manche seiner Schüler „regelrechte Verhaltensstörungen aufweisen“, führt der Lehrer auf die „bedrückenden Umstände“ zurück. „Da komme ich selbst mit meiner Autorität im Einzelunterricht oft nicht weiter.“ Für die Mehrheit seiner Schüler bleibe die Musik ein Hobby. Dalia aber sei konzentrierter als seine anderen palästinensischen Schüler. Denn sie ist ehrgeizig: Sie möchte Dirigentin werden. Aber vorher will sie zum Musikstudium nach Frankreich, weil es dort die besten Flötisten gibt. „Manche meiner Freunde verstehen nicht, warum ich so oft übe, und fragen mich, wozu ich das mache“, sagt die junge Frau. „Aber die meisten mögen meine Musik und fordern mich auf, für sie zu spielen. Wenn ich Musik höre, brauche ich nichts anderes mehr.“ Drei ihrer vier Geschwister spielen inzwischen auch ein Instrument.
Immer wieder hebt Karadjov die Hand, bemängelt hier die zu schwache Intonation, dort ein verfehltes Legato. Das junge Mädchen hört aufmerksam zu und spielt die Sequenz schließlich so, dass ihr Lehrer sie lobt.
Dass Musik verbindet, trifft selten so zu wie im Westjordanland, wenn die Kinder aus verschiedenen Flüchtlingslagern und palästinensischen Städten zusammenkommen, um einen gemeinsamen Auftritt zu proben. „Wir wollen, dass die jungen Menschen das Leben lieben“, sagt Said Karzun von al-Kamandjati und zitiert den palästinensischen Dichter Mahmud Darwisch: „Auch wir lieben das Leben, wo wir nur können.“