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Archiv-Artikel

Künstliches Heroin jetzt auf Kassenrezept

SUCHTPOLITIK Nach jahrelangem Streit stimmt der Bundestag für die kontrollierte Abgabe von Diamorphin an Schwerstabhängige. Ärzte begrüßen die Wende in der deutschen Suchtpolitik

BERLIN taz | Der Bundestag hat am Donnerstag mit 349 zu 198 Stimmen für die kontrollierte Abgabe von synthetisch hergestelltem Heroin – Diamorphin – an Schwerstabhängige gestimmt. Der fraktionsübergreifende Antrag von SPD, FDP, den Grünen und der Linkspartei stieß auch bei einigen CDU-Abgeordneten – insbesondere aus größeren Städten – auf Zustimmung. Der Fraktionszwang war aufgehoben worden.

Von 2002 bis 2006 hatten in sieben deutschen Städten Modellversuche mit Diamorphin stattgefunden. Mit dem Beschluss des Bundestags können diese Versuche nun zum Regelfall werden. Für Diamorphin-Injektionen kommen nur schwerst abhängige Personen über 23 Jahren infrage, die zwei erfolglose Therapieversuche hinter sich haben. Sie können nun unter Aufsicht zwei- bis dreimal täglich synthetisches Heroin bekommen und werden zudem psychosozial begleitet.

Christian Haasen, Direktor des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung der Uni Hamburg, ist erleichtert über die Entscheidung. Seine Einrichtung hatte die Modellversuche wissenschaftlich begleitet. „Ich freue mich, dass für die Betroffenen klar ist, die Diamorphinabgabe geht weiter.“ Die Studie habe deutlich gezeigt, dass die Diamorphinbehandlung bessere Ergebnisse liefere als die mit Methadon. Die Behandelten seien oft gesünder, auch die Beschaffungskriminalität gehe zurück. „Bekommt man Methadon, fühlt man sich wie unter einer Käseglocke. Auch fehlt das für Heroin und Diamorphin so typische Wärmegefühl im Körper, das nach der Injektion für eine Zeit einsetzt.“ Auf der Suche nach diesem Gefühl – nach 20 oder mehr Jahren Abhängigkeit habe das nichts mehr mit Highsein zu tun, erklärt Haasen –, würden viele Methadonsubstituierte deshalb zusätzlich Heroin und Alkohol konsumieren. Damit gehe der Kreislauf aus Beschaffungskriminalität und körperlichen Beeinträchtigungen von Neuem los. Haasen berichtet auch davon, dass etliche Diamorphin-Behandelte wieder eine Arbeit gefunden haben. Einige kämen ganz von der Sucht los.

Die Einschätzung von Teilen der Unionsfraktion, in Zukunft müssten die Krankenkassen 80.000 Schwerstabhängigen teure Diamorphin-Therapien bezahlen, teilt er nicht. Für die Behandlung kämen zwischen 1.000 und 2.000 Patienten infrage. Auch in der Drogenambulanz in Hannover ist man froh, dass die Diamorphin-Abgabe weitergehen kann. „Endlich wird Menschen, die nach internationalen Standards krank sind, also psychiatrischen Patienten, geholfen, ihr Leben zu stabilisieren“, fasst der dortige Leiter des Modellprojekts die Wende in der Suchtpolitik zusammen. EVA VÖLPEL