Esst Hamburger, aber bewusst

Slow Food fordert ein bewussteres Konsum- und Essverhalten. Im taz-Gespräch erklärt der Vorstandsvorsitzende, warum es dennoch ok ist, jeden Tag einen Hamburger zu essen und warum Slow Food nicht nur etwas für Reiche ist

VON ULLA JASPER

taz: Herr Pestka, Slow Food fordert im Gründungsmanifest ein „Recht auf Genuss“. Was verbirgt sich dahinter?

Hans-Georg Pestka: Wir sehen das Thema Essen und Trinken nicht nur funktional, sondern für uns gehören zur Ernährung auch kulturelle Werte und Genusswerte, die wir manchmal im täglichen Leben gar nicht mehr erfahren und wahrnehmen. Uns geht es deshalb um eine bestimmte Einstellung zum Leben, nämlich nicht bedenkenlos zu konsumieren, sondern Konsum zu hinterfragen. Das bedeutet auch, dass tägliche Brot und das Stück Käse ganz bewusst einzukaufen und zu genießen.

Ist die Forderung nach einem „Recht auf Genuss“ nicht zynisch in einer Zeit, in der immer mehr Menschen auch in Deutschland unter der Armutsgrenze leben?

Wenn man möchte, kann man das so missverstehen. Aber ich behaupte, dass auch ärmere Menschen in Deutschland viel Geld für sinnloses Zeug ausgeben, statt sich kulinarische Genussmomente zu leisten. Auch arme Menschen sind oft Schnäppchenjäger, die einen Haufen Müll kaufen, der gar keinen inneren Wert hat.

Aber ist Slow Food nicht vor allem etwas für Reiche, die sich teure Ökoprodukte leisten können statt zum Discounter zu gehen?

Nein, wir sind ja auch keine Öko-Lobby. Wir wollen gute Produkte. Natürlich sind die oft teurer. Aber muss man dafür reich sein? Ich glaube es nicht. Man muss dafür höchstens reich sein an Fantasie und Neugier, um sich mit diesen Dingen wirklich bewusst auseinander zusetzen und sich bewusster dafür zu entscheiden. Aber wir haben hierzulande vor allem ein kulturelles Problem: Man darf hier ganz viel Geld für viele Dinge ausgeben, aber wenn man mal teuer Essen geht oder mehr Geld für besonders gute Lebensmittel ausgibt, muss man sich rechtfertigen.

Slow Food propagiert auch, sich wieder mehr mit Ernährung und Essen zu beschäftigen, selbst zu kochen und sich für das Essen mehr Zeit zu nehmen. Ist das in unserer Gesellschaft und Arbeitswelt heute möglich?

Natürlich ist das möglich. Der Großteil unserer Gesellschaft schafft es heute, fast vier Stunden täglich vor dem Fernseher zu verbringen. Wenn sich diese Menschen dafür entschieden, dass Essen auch wichtig ist, dann sollte es ihnen möglich sein, einen Teil dieser Zeit dafür ins Essen zu investieren. Aber das ist eine Frage der Wertigkeit und welche Bedeutung ich dem Essen beimesse.

Hat sich die Einstellung der Bevölkerung zum Thema Essen und Ernährung seit der BSE-Krise verändert? Gibt es ein neues Bewusstsein?

Ja und nein. Anders als früher ist es heute in der Tat so, dass man viel mehr Informationen bekommt und diese Krisen immer wieder ein Thema sind. Aber gleichzeitig ist der Antrieb für dieses neue Interesse an Ernährung in erster Linie die Angst und ein Gefühl der Bedrohung. Aber das ist ein ambivalenter und wenig positiv motivierender Antrieb. Das Interesse der Leute bleibt oft oberflächlich, weil der Mensch vergesslich ist und schnell ein Gefühl der Sicherheit wiedereinkehrt. Es fehlt weiterhin die bewusste, tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema Nahrung, Essen und Genuss.

Es fällt auf, dass Slow Food bisher noch keine gemeinsame Position zum Thema gentechnisch veränderte Lebensmittel hat. Woran liegt das?

Wir arbeiten gegenwärtig an einer gemeinsamen Position. Aber solche Prozesse dauern bei uns länger, weil wir kein straff geführtes Unternehmen sind, sondern eine sehr heterogene Non-Profit-Organisation, in der Konsumenten und Produzenten zu Wort kommen. Das macht ja auch den Charme und den Reiz von Slow Food aus. Aber wir sehen natürlich ganz deutlich das Bedrohungspotential der Gentechnik, gerade auch für die Artenvielfalt.

Wie beurteilen Sie die jetzt in Kraft getretene EU-Agrarreform? Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Wir befürworten die Agrarreform und die beschlossene Abwendung von der landwirtschaftlichen Massenproduktion. Auch der Aspekt der so genannten cross compliance ist sehr gut, weil er Umweltstandards vorschreibt und den einzelnen Produzenten in Bezug zu seiner Umwelt setzt. Aber es gibt weiterhin Schwächen. So ist der Welthandel bei dieser Reform nicht thematisiert worden. Und auch der bürokratische Aufwand für Lebensmittelhersteller ist durch die Reform nicht geringer geworden. Gerade die kleineren Produzenten werden drangsaliert von EU- und Ländervorgaben, die den Geist der Großindustrie atmen. Dadurch werden die kleinen Betriebe mit einem Bürokratieaufwand belegt, der für viele nicht tragbar und auch nicht sinnvoll ist.

Im Gründungsmanifest ihrer Organisation heißt es: „Slow Food sichert uns eine bessere Zukunft“. Erklären Sie uns, warum Sie das glauben.

Slow Food ist eine Korrekturbewegung zu Fast Food, ohne aber auf dieser oberflächlichen Ebene zu bleiben. Denn es geht um mehr – um Kultur, um den Umgang zwischen Menschen und der Natur, ob als Produzent oder als Konsument. Slow Food ist nur ein Mosaikstein einer Gesellschaftskritik. Es gibt ja noch viele andere Organisationen, die ebenso ihre Daseinberechtigung haben. Die einen thematisieren eben Menschenrechte, die anderen kümmern sich um Tierschutz. Uns geht es ganz einfach darum, einen Denkprozess in Bezug auf Nahrung und Essen in Gang zu setzen. Der Mensch soll sich wieder mit dem Essen und den kulturellen Werten des Essens beschäftigen. Wenn jemand jeden Tag einen Hamburger essen will, dann soll er das tun. Aber er soll sich bitte bewusst damit auseinandersetzen.