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Archiv-Artikel

„Sie sind traumatisiert“

HILFE STATT RASSISMUS Roma brauchen in Berlin eine Anlaufstelle, so ein Experte

Dzoni Sichelschmidt

■ Der 37-Jährige ist ein Rom aus dem Kosovo, Vorsitzender des Roma Affirmation Centre und Mitarbeiter des Europäischen Zentrums für Antiziganismusforschung in Hamburg. Er arbeitet mit Roma-Jugendlichen in St. Pauli.

taz Herr Sichelschmidt, Sie sind in Berlin, um im Konflikt der Roma-Gruppe aus dem Görlitzer Park zu vermitteln. Haben Sie schon ein Bild der Lage?

Dzoni Sichelschmidt: Ja, und ich bin schockiert. Da ist viel schiefgelaufen.

Was denn?

Zum Beispiel beim Umzug der Roma ins Lager Motardstraße. Es gibt Familien, die nicht in dieses stacheldrahtbewehrte Lager wollten, weil sie in rumänischen Gefängnissen misshandelt wurden. Sie sind traumatisiert. Wir hatten deshalb die Gemeinde gebeten, dass ein Teil der Gruppe bis Dienstag in der Kirche bleiben darf. Das wurde abgelehnt, weil man nicht an die Traumatisierung dieser Leute glaube.

Haben Sie den Eindruck, dass nach einer Perspektive für die Roma gesucht wird?

Leider nein. Eigentlich kennen die PolitikerInnen die Lage und die Probleme der Roma gut. Aber es fehlt an dem Willen, wirklich etwas daran zu ändern. Das ist ein europaweites Problem: Viele Politiker sehen Roma als Problem, das gelöst werden muss. Aber kaum einer beschäftigt sich mit den Problemen der Roma. Es herrschen stattdessen Apartheid und Rassismus.

Aber verglichen mit den Gewalttaten gegen Roma in anderen EU-Ländern läuft es doch in Berlin eigentlich ganz gut?

Vor dem Hintergrund dessen, was ich am Montag durch Zufall am Kottbusser Tor erleben musste: nein. Solche Ereignisse, dass Roma einfach auf offener Straße geschlagen werden, machen mir Angst. Das ist nicht akzeptabel, und ich hoffe, dass das nicht der Anfang weiterer Angriffe hier ist.

Was werden Sie in Berlin ausrichten können?

Ich werde einen Lösungsvorschlag wiederholen, den wir schon 2002 aus Anlass der Osterweiterung der EU haben. Roma brauchen europaweit Anlaufstellen. In Frankfurt, wo sehr viele Roma leben, gibt es eine solche Anlaufstelle bereits. Dorthin können sich Roma wenden, wenn sie gesundheitliche Beratung oder die Hilfe von Sozialarbeitern brauchen. Es gibt auch eine Kindertagesstätte. So können die Eltern einige Monate lang als Musiker oder Fensterputzer arbeiten und dann nach Rumänien zurückkehren, um vom verdienten Geld zu leben. Mein Vorschlag ist, so etwas auch hier zu machen. INTERVIEW: ALKE WIERTH