: Je mehr Suren, umso größer das Glück
RELIGIÖSE BILDUNG Der Dokumentarfilm „Korankinder“ von Shaheen Dill-Riaz gewährt Einblick in die Koranschulen in Bangladesch
In Bangladesch gibt es zwei Bildungswege: Die staatlichen Schulen unterrichten religiöses und weltliches Wissen, sie bereiten auf ein Leben mit beruflichen Möglichkeiten vor, stehen aber auch unter dem Vorbehalt, den westlichen Lebensstil zu befördern. Die Koranschulen (Madrasas) lehren in erster Linie den Text des heiligen Buchs der Muslime, nur am Rande und „unmotiviert“ werden auch andere Gegenstände gelehrt.
Viele Kinder haben keine freie Wahl des Schultyps, denn die Eltern sorgen für das eigene Heil vor, wenn sie einen Sohn (seltener eine Tochter) auf eine Koranschule schicken. Das Rezitieren des Texts der Offenbarung an den Propheten Mohammed schafft nämlich Heil. Mit jeder Sure, die ein Junge auf Arabisch deklamiert, macht er für seine Familie das Jenseits glücklicher. Die Zukunft in dieser Welt spielt dabei keine Rolle.
Für den in Bangladesch geborenen und seit 1992 von Deutschland aus arbeitenden Filmemacher Shaheen Dill-Riaz waren die Widersprüchlichkeiten des Bildungssystems in seiner Heimat der Ausgangspunkt für „Korankinder“. Er bekam dafür ausnahmsweise die Gelegenheit, in einer Madrasa ausführlich zu drehen, ein seltener Fall in einem Land, in dem Filmen als „unislamisch“ gilt und in dem die muslimische Bevölkerungsmehrheit immer mehr Einfluss auf die Öffentlichkeit nimmt.
Gegen die eigene Kindheit
„Der Staat muss die Menschen zwingen, nach dem islamischen Gesetzen zu leben“, sagt einer der Korangelehrten in dem Film. Für Shaheen Dill-Riaz, der aus einer liberalen Familie kommt, stehen mit diesem Satz die ganzen Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend auf dem Spiel. Die säkularen Bildungsmöglichkeiten geraten zunehmend unter Druck, denn in Bangladesch ist ein massives „Pro Reli“ in Gang, ein vielfaches Bestreben, der religiösen Bildung den Vorrang vor der weltlichen zu geben.
„Korankinder“ geht von Kindern aus, die in einer Madrasa ausgebildet werden. Sie lernen die Verse des Korans auswendig. Das Arabisch ist für viele von ihnen reine Lautsprache ohne Bedeutung. In mühseliger Arbeit eignen sie sich einen Text an, bei dem es nicht um Interpretation geht, sondern um Deklamation.
Shaheen Dill-Riaz, der für seine Dokumentarfilme („Sand und Wasser“, „Eisenfresser“) immer wieder in seine Heimat zurückkehrt, stellt die Madrasas in mehrfacher Hinsicht in einen Kontext. Er leitet sie aus der Kolonialgeschichte des Landes her, die vielen Menschen die westliche (englische) Bildung verleidet hat, findet entscheidende Motive aber auch in der islamischen Belohnungstheologie und wendet seine Erfahrungen immer wieder zurück auf die eigenen Erfahrungen und die seiner Familie. „Korankinder“ zeigt damit auf eine sehr differenzierte und konkrete Weise, wie der Islam sich in einer spezifischen südostasiatischen Gesellschaft inkulturiert hat. Das Kino erweist sich als eigener Bildungsweg der Vermittlung zwischen Schulwissen und jenem anderen Wissen, das man aus den Gesichtern und Worten von Menschen lesen lernen muss. BERT REBHANDL
■ „Korankinder“. Regie: Shaheen Dill-Riaz. Dokumentarfilm. Bangladesch/Deutschland 2008, 86 Min., im Moviemento