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Archiv-Artikel

Ökofeindliche Öko-Verordnung

Der alltägliche Papierkrieg erschwert kleinen Biobauern das Überleben. Dabei entsprechen gerade sie dem Leitbild der Umweltfreundlichkeit. Reformen gefordert

BERLIN taz ■ Für Biogärtner Peter Berg aus Binzen beginnt das Jahr mit vielen Stunden vor dem Computer. Noch drei Monate, dann wird gesät. 200 Gemüsesorten sät er über das Jahr aus. Für mehr als die Hälfte muss er Ausnahmegenehmigungen beantragen, weil es sie nicht in Ökoqualität gibt. Er weiß, dass die Anträge alle bewilligt werden. Das werden sie immer. Bei jedem, der sie stellt.

Manche Bauern verbringen im Schnitt eine Stunde am Tag damit, Anträge auszufüllen, Genehmigungen einzuholen und den Vertriebsweg zu dokumentieren, sagt Thomas Damm von der Öko-Kontrollstelle abcert aus Esslingen. Die EG-Öko-Verordnung hat zu einer maßlosen Überregulierung der gesamten Biobranche geführt. Darunter leiden vor allem die, die so naturnah wie möglich wirtschaften wollen: die Kleinbauern. Sie produzieren in der Regel für den regionalen Markt. Trotzdem gelten für die Kleinode des Ökolandbaus die gleichen Regeln wie für den ökologisch wirtschaftenden Massenbetrieb mit 200 Rindern im großzügigen Freilaufstall.

Gut 14 Jahre nach Einführung der EG-Öko-Verordnung ist die Regelungsdichte so groß, dass Neueinsteiger abgeschreckt werden. „Die Bioproduktion in Deutschland wird auf absehbare Zeit nicht wachsen“, prophezeit Damm. Matthias Strobl von der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau in Baden-Württemberg pflichtet bei: „Man kann nicht hinter jeden Bauern einen Kontrolleur stellen“, sagt er. „Wir brauchen eine Risikobewertung.“ Hersteller von Biomassenware müssten strengeren Auflagen folgen als der Kleinbauer mit seinen vielfältigen Produkten in Kleinmengen. „Ansonsten sind irgendwann die Regelungskosten so hoch, dass sich der Anbau nicht mehr lohnt.“

Die Auflagen, die etwa ein Klein-Imker zu erfüllen hätte, um auf seinen Honig das Bio-Siegel kleben zu dürfen, sind so hoch, dass sich die Bio-Imkerei für Kleinmengen nicht mehr rechnet. So ein Betrieb ist nach der Öko-Verordnung „nicht mehr in einem vertretbaren Kosten- und Zeitaufwand als Biobetrieb zertifizierbar“, heißt es in einem Papier des Kontrollvereins ökologischer Landbau in Karlsruhe. „Die EG-Öko-Verordnung erschwert den Bio-Betrieben, die dem Leitbild des Öko-Landbaus und der Verbrauchererwartung besonders gut entsprechen, das Überleben.“

Weder Biobauern noch Kontrolleure wollen die Öko-Verordnung abschaffen. Wenn sich aber ein Mehr an Bürokratie nicht in einem Mehr an Sicherheit für den Verbraucher niederschlägt, dann sei die Verordnung reformreif. THORSTEN DENKLER