Spezialist des politischen Strafrechts

Der Hamburger Strafverteidiger Josef Gräßle-Münscher ist tot. Der Motassadeq-Anwalt und Autor von Fachliteratur zu den §§129 und 129a Strafgesetzbuch erwachte nach einem schweren Motorradunfall im August nicht mehr aus dem Koma

„Dann lese ich doch lieber die FAZ, dann weiß ich, was der Klassenfeind denkt“

Von Kai von Appen

Josef Gräßle-Münscher ist tot. Der renommierte Hamburger Strafverteidiger ist in der Nacht zum Sonntag an den Folgen seines schweren Motorradunfalls am 28. August 2004 gestorben. Das teilte seine Frau Barbara Münscher gestern mit – ebenfalls Anwältin in Hamburg. Der 58-Jährige war an jenem Tag bei einem Überholmanöver auf der Landstraße bei Kaltenkirchen gegen einen abbiegenden Pkw geprallt und gegen ein Verkehrsschild geschleudert worden. Er musste noch am Unfallort wegen schwerer Kopfverletzungen reanimiert werden und war mit dem Rettungshubschrauber ins UKE gebracht worden. Danach lag er in einer Schweriner Spezialklinik im Koma.

Gräßle-Münscher gehörte zu den Koryphäen unter den politischen Strafverteidigern. In diversen so genannten „129a-Verfahren“ („Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“) gegen Kader der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) oder der Devrimci Sol trat er als Verteidiger auf. Für Schlagzeilen sorgte Gräßle-Münscher zuletzt als Anwalt des als „Terrorhelfer“ verurteilten Marokkaners Mounir el Motassadeq. Gemeinsam mit seinem Kollegen Gerhard Strate setzte er beim Bundesgerichtshof ein Revisionsverfahren vor dem Hamburger Oberlandesgericht (OLG) durch.

Geboren wurde Josef Gräßle 1946 im bayrischen Altenberg. Er studierte Jura in München, Oxford und Berlin und promovierte 1982 mit einer Arbeit zum „Tatbestand der kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) aus historischer und systematischer Sicht.“ Er veröffentlichte diverse Bücher und Artikel zum politischen Strafrecht, so „Die Sucht nach dem Kollektiv“ zum Hamburger Hells-Angels-Prozess, „Die §§ 129 und 129a auf dem Weg zur terroristischen Gesamtorganisation“, „Kriminelle Vereinigung – von den Burschenschaften bis zur RAF“ und „Das neue System des politischen Strafrechts – Deformation oder Entfaltung des Rechtsstaats“. Sein letztes Buch „Terror und Herrschaft – die Selbstbespiegelung der Macht“ erschien 2002.

Gräßle-Münscher galt als unbequemer, aber gewissenhafter und hartnäckiger Verteidiger. Er suchte weniger die Publicity, sondern versuchte durch harte Fakten und juristische Finesse zu überzeugen, auch wenn das für Prozessbeteiligte manchmal anstrengend war. So stellte er zu Beginn des Revisionsverfahrens gegen Motassadeq vor dem OLG einen umfangreichen Einstellungsantrag, in dem er die Foltermethoden der US-Geheimdienste unter die Lupe nahm und somit von vornherein vermeintliche Beweismittel der Bundesanwaltschaft in Frage stellte. In diversen 129a-Verfahren gegen PKK- und Dev Sol-Funktionäre prangerte er immer das Konstrukt der „terroristischen Vereinigung in der Vereinigung“ an, das eine strafrechtliche Verfolgung von Kadern überhaupt erst ermöglichte. Auch arbeitete er mit an einem Gesetzentwurf der Grünen-Bundestagsfraktion zur Streichung der §§ 129 und 129a.

Sich selbst bezeichnete Gräßle-Münscher als Kommunist. Deshalb war er kein Fan der taz, obwohl die Zusammenarbeit mit der taz hamburg stets vertrauensvoll war. „Das pseudoliberale Geschwätz“ missfiel ihm: „Dann lese ich doch lieber die FAZ, dann weiß ich, was der Klassenfeind denkt.“

Neben seinem beruflichen Engagement setzte er sich als Vorstandsmitglied für das Therapiezentrum für Drogensüchtige „Die Brücke“ ein, engagierte sich im Therapiezentrum für Suizidgefährdete am UKE und kämpfte zuletzt für den Erhalt des „Fixstern“ im Schanzenviertel.