: Siegeszug der grauen Zeitdiebe
betr.: „Verderben Gebühren das Studium? Nein“ von Ralph Bollmann, taz vom 28. 1. 05
Erhöhung der Bahnpreise – und zwar sofort! Neulich stand ich schon wieder eine halbe Stunde am Schalter. Dabei wär alles so einfach! Rauf mit den Bahnpreisen, und zwar ordentlich!
Dann werden die Bahnangestellten nämlich viele Schalter öffnen und die Fahrgäste als Kunden betrachten. Und für die Kunden ist es natürlich auch viel besser, auch wenn viele das erst mal nicht einsehen. Die Leute werden sich endlich mal überlegen, ob sie wirklich von A nach B wollen oder lieber zu Hause bleiben. Wer nur so zum Jux rumgondeln will, schmarotzt eh nur auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung, der soll auch ordentlich abdrücken. Und wer Arbeit hat, kann sich’s eh leisten (Tipp: steuerlich absetzen). Die Zeiten, wo „Tante besuchen“ und ähnlicher Mist noch ohne klare Kosten-Nutzen-Rechnung gemacht wurden, sind zu Recht vorbei. Bewegungsfreiheit ist zwar schön und gut, aber niemand hat von „billig“ geredet, darauf gibt es kein Recht. Und wenn arme Leute rumjammern: Die hängen doch sowieso den ganzen Tag in ihren Sozialwohnungen ab, also helfen ihnen die derzeitigen Bahnpreise eh nix. Die paar Fahrten, die für solche Gestalten in Frage kommen, werden an ihre Fernsehgebühren und Telefonrechnungen nicht herankommen.
Mich kotzt der Siegeszug der grauen Zeitdiebe und seine Verherrlichung so langsam an. DETLEF MÜLLER, Göttingen
Da wird beklagt, dass die Deutschen keine Kinder mehr bekommen, dass Erstgebärende immer älter werden und der Kreis der Akademikerinnen ohnehin die niedrigste Geburtenrate aufweist. Auf der anderen Seite steht, scheinbar unverbunden, die vom BVerfG freigegebene Option der Erhebung von Studiengebühren. Infam das Argument, auch für Kitas müssten schließlich Gebühren bezahlt werden.
Als Mutter und Studentin (eine dem Diskurs anscheinend unbekannte Konstellation) zahle ich in absehbarer Zeit für beides zusammen eine horrende Summe, die in keiner Relation zu meinem Einkommen steht. Studierende Eltern werden mitnichten gefördert, sondern durchweg verkannt, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass der Bafög-Satz keinen Kinderzuschlag kennt (wie etwa die Berufsausbildungsbeihilfe), sondern Eltern auf das Sozialamt und Kinder in die Armutsstatistik schickt. Aus diesem Grund möchte ich bezweifeln, dass nun ausgerechnet die Erhebung von Studiengebühren „sozialverträglich“ gestaltet wird.
Was Herr Bollmann bezüglich des „letzten Auswegs“ Studiengebühren krakeelt, schlägt dem Fass den Boden aus. Wenn er meint: „Schaden kann es auch nicht mehr“, dann mache ich ihm folgendes Angebot:
„Lassen Sie uns einfach einen Monat lang tauschen, Herr Bollmann, biedern sie sich an meiner Statt bei diversen Ämtern an (zur Auswahl stehen insgesamt acht), bringen Sie mein Kind morgens zur Kita (wegen Kitaplatz-Mangel nicht in Fußnähe), hetzen sie dann weiter zur Uni (wegen NC über eine Stunde Anfahrt) und setzen sie sich bis tief in die Nacht an meine Seminararbeiten (wegen neuer Studienordnung stehen ausreichend Pflichtkurse, -arbeiten und -termine zur Verfügung). Arbeiten gehen brauchen Sie übrigens nicht, denn das wird per Kürzung der Sozialleistungen bis hin zum Wegfall von Erziehungs- und Kindergeld umgehend bestraft. Ach so, putzen, spülen, Wäsche waschen und ab und zu dem Kind ein wenig Liebe und Aufmerksamkeit schenken, bitte nicht vergessen. Und, ach ja, wenn Sie schon einmal dabei sind: Betteln Sie bei dieser Gelegenheit doch auch bitte gleich eine Bank Ihrer Wahl um die von Ihnen befürwortete Semestergebühr von 500 bis 2.500 Euro an. Vielleicht werden Sie auf diesem Weg dann ganz konkret spüren, wem Studiengebühren wann und wie schaden können.
NORA WEIDER, Berlin
Wie kommt Herr Bollmann auf die abstruse Idee, dass nur Akademikerkinder sich organisieren können, dass nur diese wissen, wie man selbständig arbeitet? Ich würde sagen: das Gegenteil ist der Fall. Wer, wie ich, kein Akademikerkind ist, übernimmt ein hohes Maß an Verantwortung für die eigene Bildung, wenn er sich für ein Studium entscheidet. Der eignet sich die nötigen Informationen selbständig an. Der weiß von vornherein, dass er für alles wird arbeiten müssen. Der schließt sein Studium so schnell wie möglich ab, weil er vom Bafög abhängig ist, das nur während der Regelstudienzeit gezahlt wird. Wie kommt Herr Bollmann auf die Idee, dass nur Akademikerkinder wissen, wie man sich präsentiert? Oder wie man Seminararbeiten schreibt? Das ist doch schlicht und einfach falsch!
Und wie kommt Herr Bollmann auf die Idee, dass Studiengebühren das Studienangebot oder die Verfügbarkeit der Professoren verbessern würden? Ist es nicht etwas naiv zu glauben, dass dies geschehen wird? So genannte Arbeiterkinder, die meist auch Bafög-Empfänger sind, mussten sich auch bisher schon für ihr Studium verschulden. Nun müssen sie auch noch die Studiengebühren finanzieren. Sich noch mehr verschulden. Oder noch mehr arbeiten neben dem Studium, was die Studienzeiten verlängert. Und die ohnehin privilegierten Akademikerkinder werden noch privilegierter. Ob sie es wohl wirklich schätzen werden, dass Mami und Papi nun pro Semester eben noch 500 Euro mehr für sie ausgeben? Ich bezweifle das. MIRJAM MENEIKIS, Stuttgart
Die Argumentation für Studiengebühren hat leider einen Haken. Sie schreiben, dass den StudentInnen aus unakademischem Milieu die subtilen Codes dieser Welt verschlossen blieben und sie die Unis daher meiden würden. So weit, so gut (oder eher: nicht gut). Wenn man nun aber mit dem mangelnden Habitus argumentiert, sollte man nicht übersehen, dass der von Ihnen so genannte faire Pakt (Gegenleistung für Bezahlung) so auch nicht funktionieren wird. Wem die anerzogene Selbstsicherheit, die feinen Unterschiede im Verhalten und die akademischen Codes fehlen, der wird sicher nicht selbstbewusst auftreten und Leistungen von den ProfessorInnen einfordern. Kinder aus bildungsfernen Schichten, denen gerade über Codes und Habitus subtil und tagtäglich vermittelt wird, dass sie hier (an der Uni) nichts zu suchen haben, werden sicher nicht aufgrund von Gebühren die Hochschulen stürmen und den Profs endlich mal die Meinung geigen, wie ordentliche Lehre auszusehen habe.
KERRY SAILER, Dresden
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