: Immer diese lästige Identität
NATIONALKULTUR Das richtige Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Anderen? Karl Schlögel, Avi Primor, Micha Brumlik etc. geben Antworten
Was ist deutsche Kultur? Der Sammelband „Wieviel Transnationalismus verträgt die Kultur?“ stellt diese Frage nicht, er fragt stattdessen, inwieweit die Kultur von transnationalen Lebensläufen, also von Immigranten und Remigranten geprägt ist. Und wie viel Nationalismus sich die deutsche Kultur nach 1945 und nach 1990 noch leisten kann, will oder soll. Die Autoren des vom Literaturwissenschaftler Willi Jasper herausgegebenen Sammelbandes geben sehr verschiedene Antworten auf die Frage.
„Was wäre denn die deutsche Literatur ohne Shakespeare?“, fragte etwa der Soziologe Erhard Stölting anlässlich der Buchvorstellung im Berliner Literaturhaus. Ihm zur Seite saßen Jasper und Bahman Nirumand auf dem Podium, es moderierte der Autor Michael Kleeberg, der sich ebenfalls als Vertreter des Transnationalen sah, schließlich habe er in den Jahren, in denen er in Frankreich lebte, den Franzosen ein Stück seiner Heimat, den Tannenbaum, nahegebracht.
Nach dieser allzu launigen Einführung war klar, dass Bahman Nirumand, der zweimal aus Teheran nach Deutschland emigrieren musste, die undankbare Rolle des lebenden Beispiels für Transnationalität zufiel. Und er nahm sie zur Gänze ein.
Während Jasper betonte, dass Transnationalität die „Wiege unserer Kultur“ sei, und Stölting hervorhob, dass der Ruf nach „Integration“ vonseiten der Politik stets die Frage aufwerfe: „Integration in was denn eigentlich?“, betonte Nirumand ungerührt „das Eigene“ in der Kultur. Ja, er warf den Deutschen – quasi mit Roman Herzog – vor, zu „verkrampft“ mit ihrer Kultur umzugehen, man solle „mit sich selbst identisch“ werden.
Diese Haltung ist weniger eine nationalistische Haltung eines Iraners, der auch den Deutschen Nationalismus anempfiehlt, als vielmehr Ausdruck der Sehnsucht des ins Exil Gezwungenen. Er erfindet sich ein „Eigenes“, um im „Anderen“ bestehen zu können. „Alles, was ein Land ausmacht, ist Kultur“, sagte er, nicht nur das, was in Museen und Büchern gespeichert sei. Dies betonte er vor allem, um den hehren Kulturbegriff der Kollegen zu attackieren. Doch der Fehlschluss des Germanisten Nirumands ist es nun, aus dieser Nationalkulturkonstruktion heraus den anderen ebenfalls ein ursprünglich kulturelles, mithin nationales „Eigenes“ anhängen zu wollen.
Stölting dagegen hob hervor, dass es in gewissen sozialen Milieus gelingen könne, sich jeglicher kultureller Transformationsprozesse zu verweigern. Man müsse nicht unbedingt die deutsche Sprache beherrschen, um im Berliner Stadtteil Wedding ein Geschäft zu führen, meinte er, und er meinte es keinesfalls herablassend. Im Gegenteil begrüßte er die Durchsetzung der Hauptstadt mit verschiedenen Kultureinflüssen.
Dem pflichtete Nirumand bei. Die Art des Kochens habe sich in Deutschland rasant verändert, merkte er an, vor 20 Jahren sei Knoblauch in einer deutschen Küche noch ein exotisches Gewürz gewesen, und „Knoblauchfresser“ ein Schimpfwort. Doch habe sich vieles andere „typisch Deutsche“ eben nicht verändert, was gar nicht schlimm sei – denn man dürfe „stolz“ auf vieles sein, „was die deutsche Kultur der Welt gegeben“ habe.
Den Kollegen auf dem Podium war sichtbar unwohl bei solchen Aussagen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Fragen nach dem „Transnationalen“ erst beantwortet werden können, wenn man die Frage nach dem Nationalen erörtert hat. Wilfried F. Schoeller schreibt in seinem Buchbeitrag: „Jeder will ja heute mit sich, seiner Psyche, seiner Volksgruppe, seiner Vorstadt, seinem ethnischen Stammtisch und wem nicht alles sonst identisch sein. Aber Identität verspricht Hochmut, warnt der ungarische Großeuropäer György Konrád. Einen Kursus in fremden Tonlagen müssen wir schon absolvieren.“ Genau das muss man klar sagen.
JÖRG SUNDERMEIER
Willi Jasper (Hg): „Wieviel Transnationalismus verträgt die Kultur?“ Verlag Dr. Köster, Berlin 2009, 350 Seiten, 29,80 €