LESERINNENBRIEFE
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■ betr.: „Auslaufmodell Karstadt“, taz vom 4. 6. 09

Für Opel, gegen Karstadt

Natürlich müsste der Arcandor-Konzern sich aus verschiedenen Gründen an den eigenen Haaren wieder aus dem Sumpf ziehen, statt Steuergelder zu kassieren (wie wohl sehr viele andere Banken und Konzerne auch) nach dem Prinzip „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“. Aber: Für einen Autokonzern, also nicht wirklich die Technik der Zukunft, bürgt der Staat und haut noch Abwrackprämien heraus, deren Umweltbilanz mies ist. Hier dagegen wünscht sich Kommentatorin Ulrike Herrmann, dass der Staat sich aus dem Verteilungskampf im Einzelhandel heraushält, da die Arbeitsplätze eben in die Shopping-Malls abwandern, und das müssen wir wohl einfach so hinnehmen, so funktioniert der Kapitalismus eben. Kein Wort zum Wahnsinn des Bauens von immer gigantischeren Konsumtempeln „auf der grünen Wiese“, zu den katastrophalen Folgen für die Umwelt (Asphaltierung der Landschaft, viel mehr Individualverkehr) und der Verödung der Innenstädte. Und nur die höchst zynische Forderung nach höheren Hartz-IV-Sätzen – natürlich müssten die erhöht werden, aber ordentliche Arbeitsplätze sind den KarstadtmitarbeiterInnen sicher lieber. Bemerkenswert auch, dass die politischen Parteien sich für Opel, aber gegen Karstadt entscheiden. Dort sind immer noch überwiegend Vollarbeitsplätze von Männern bedroht, hier dagegen „nur“ viele Frauen-Teilzeitarbeitsplätze. Eine Schelmin, die Böses dabei denkt … ULRIKE KIRSCHNER, Hamburg

■ betr.: „Beschattung von Arbeitslosen gestoppt“, taz vom 5. 6. 09

Abgestempelt zum Verbrecher

was für ein geist denkt sich eigentlich solche sachen aus? da gibt es keine arbeitsplätze für einen teil unserer gesellschaft, und dann muss man menschen drangsalieren, entwürdigen und zu betrügern und verbrechern abstempeln, die verzweifelt versuchen, mit einer summe zu überleben in diesem land, mit der man nicht wirklich überleben kann!

wer nicht arbeitet, obwohl er es könnte, verdient nicht neid und bestrafung, sondern mitleid. wenn zwei arbeitslose ein paar werden, zusammenziehen und das nicht gleich melden, um sich das kümmerliche geld kürzen zu lassen, sind sie verbrecher „mit besonders schwerwiegendem leistungsmissbrauch“. und die methoden gehen langsam in eine gefährliche richtung. ein kleiner schritt nur noch zur orangefarbenen armbinde an hartz-4lers arm, damit der rechtschaffene bürger gleich dem nächsten gebietsbetreuer bescheid geben kann, sollte etwas nach schwarzarbeit aussehen. leichter noch, diese leute in einem zentralen wohnprojekt zusammenzufassen, wo man sie besser überwachen, mit kleinen ein-euro-jobs versorgen kann, wie tüten kleben, schrauben sortieren etc. ELKE GRÖZINGER, Wunstorf

■ betr.: „Der diffamierte Deal. Der Bundestag wird nun die umstrittenen Absprachen im Strafprozess legalisieren“, taz vom 27. 5. 09

Bessere Ausstattung der Justiz

Der Autor Christian Rath unterstellt den Gegnern des Deals „Naivität“ und „gefährliche Schwarzmalerei“. Naiv und gefährlich ist es dagegen, im Deal eine „sinnvolle Maßnahme“ zu sehen.

Wer je als Richter oder Staatsanwalt auf Seiten einer völlig unterfinanzierten Justiz den teuren und hervorragend ausgebildeten Strafverteidigern von Wirtschaftskriminellen gegenüberstand, der verfällt nicht so leicht auf den Gedanken, dass die Kritik am Deal nur ein Mittel zum Zweck für andere Ziele (mehr Richterstellen) sei. Demjenigen würde der Zusammenhang zwischen individueller Arbeitsbelastung und der Bereitschaft, eine Absprache zu treffen, unmittelbar einleuchten. Ihm wäre vielleicht auch die letzte Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Zulässigkeit des Deals aus dem Jahr 2005, und zwar nicht nur vom Ergebnis, sondern auch in der Begründung bekannt. Dort heißt es: „Vor allem mit Blick auf die knappen Ressourcen der Justiz (?) könnte die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz nicht gewährleistet werden, wenn es den Gerichten generell untersagt wäre, sich über den Inhalt des zu verkündenden Urteils mit den Beteiligten abzusprechen.“

Die Ermittlung der materiellen Wahrheit ist jedoch die unabdingbare Zielsetzung des rechtsstaatlichen Strafprozesses und die Voraussetzung für die Feststellung von strafrechtlicher Schuld. In der Praxis sind die Deals schon seit Langem aus dem Ruder gelaufen. Notwendig wäre es, die Justiz endlich angemessen auszustatten und den Deal nicht zu legalisieren, sondern zu verbieten. WOLFGANG NEŠKOVIĆ, Berlin

■ betr.: „Ampel für 300 Lebensmittel“, taz vom 6. 6. 09

Was ist daran so aufregend?

Schon erstaunlich, dass dies so aufregend sein soll. Meine heute 39-jährigen, in den USA aufgewachsenen Zwillinge haben buchstäblich damit lesen gelernt, dass sie mir ab 1977 vorlasen: „Mom, da steht Zucker an erster Stelle auf dem Paket, das kaufen wir nicht!“ Es gab damals schon Lebensmittelgesetze, die vorschrieben, dass die Zusammensetzung der Nahrungsmittel in der Reihenfolge des Mengenanteils auf den Verpackungen genannt werden musste. Kleine Bioläden waren übrigens im Osten der USA schon damals überall auffindbar. Im Jahr 1984 kamen wir wieder nach Deutschland zurück und waren geschockt, dass man nur im Reformhaus zu hohen Preisen einkaufen konnte, bis man sich andere, fast geheimgehaltene Kaufquellen erschloss. So weit die Erfahrungen im Land der Hamburger und Übergewichtigen! BRIGITTE BEST, Reutlingen

■ betr.: „Registriert und gesegnet“, taz vom 5. 6. 09

Kirche neu erfinden

Man(n) – pardon: Frau – mag ja gern lesbisch sein, sogar als Mitglied einer ansonsten konservativen Kirche ist das okay. Aber als Lesbe ein hohes Amt (Bischöfin) bekleiden in der auf alte Fundamente sich berufenden Kirche? Vielleicht müsste Man(n)/Frau die Voraussetzungen von Kirche neu erfinden. So kneift und beißt es an allen Ecken. Als sich lesbisch Outende einen Job im öffentlichen Leben zu bekommen, ist auch sonst schwer. Allein, die Kirche bezahlt besser. Kann’s das sein? IMME KLEE, Hamburg