: Atom rettet Standort
Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) fordert Verlängerung der AKW-Laufzeiten, um Unternehmen von Kosten erneuerbarer Energie zu entlasten
Von Gernot Knödler
Werner Marnette liebt es, Sachverhalte zuzuspitzen: Bis 2020 verliere Deutschland zwei Drittel seiner Kraftwerkskapazität, prognostizierte der Chef der Norddeutschen Affinierie und des Industrieverbandes Hamburg. Die Zeit, bis CO2-freie, erneuerbare Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stünden, müsse deshalb durch eine Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke überbrückt werden. „Sonst werden wir in diesem Land untergehen“, orakelte Marnette.
Der Ausstieg aus dem Atomausstieg hat Konjunktur in Teilen der Wirtschaft. Bei einer Tagung im Hotel Atlantic plädierten gestern Marnette, Dietrich Graf von HEW/ Vattenfall und Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) für eine Laufzeitenverlängerung: Der Standort dürfe im globalen Wettbewerb nicht auch noch mit den Kosten einer forcierten Einführung erneuerbarer Energien belastet werden.
„Wie weit will Deutschland in seiner Vorreiterrolle vorpreschen?“, fragte Uldall und verwies auf die schlechten Standards, mit denen in Schwellenländern Energie erzeugt werde. Der Plan der Bundesregierung, 50 Prozent des bis 2012 wegfallenden Atomstroms durch erneuerbare Energien zu ersetzen sei „völlig unrealistisch“, die Förderung der Windenergie „schlichtweg überzogen“.
Die Windenergie habe einen Anteil erreicht, der das Stromnetz an seine Belastungsgrenze führe, warnte Graf. Weil der Windstrom vorrangig abgenommen werden müsse, wäre am 24. Dezember 2004 beinahe das Netz zusammengebrochen. Bei sehr niedrigem Verbrauch sei extrem viel Windstrom eingespeist worden, mit dem jedoch die Stromfrequenz von 50 Hertz nicht zu halten sei.
Kosten verursache die Förderung der erneuerbaren Energien sowie der zum Teil deshalb nötige Umbau des Stromnetzes. Ein Vertreter der Firma Solara wies allerdings darauf hin, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz derzeit die Kilowattstunde nur um einen Drittel Cent verteuere und die Förderung degressiv gestaltet ist: Jedes Jahr gibt es weniger. Im Übrigen sei jede neue Energieform bei ihrer Einführung massiv gefördert worden. Experten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) plädieren für ein konsequentes Umsteuern mit entprechend starker Förderung, weil die erneuerbaren Energien so schneller wettbewerbsfähig würden.
Der Umbau des Netzes ist auch durch die deutsche Einheit und die Liberalisierung des Strommarktes nötig geworden. Wenn Vattenfall Leitungen aus seinem Versorgungsgebiet in den neuen Ländern in den Westen baut, hilft das, den Windstrom von der Küste weg zu leiten und schließt die teilungsbedingte Lücke im Stromnetz.
Ein großer Teil der 40-prozentigen Strompreissteigerung der vergangenen vier Jahre – da waren sich Marnette, Uldall und Jürgen Basedow von der Monopolkommission einig – ist dem Oligopol der vier großen Netzbetreiber in Deutschland geschuldet. Zusammen mit ihren Partnerunternehmen versorgten diese 90 Prozent des deutschen Marktes. Marnette bezeichnete es als unzulässig, dass die vier Großen die Strompreise an den Kosten neuer Kraftwerke orientierten. Der meiste Strom komme ja aus Kraftwerken, die längst abgeschrieben seien.
Graf bezeichnete die Entstehung der vier großen Netzbetreiber als Wunsch der Politik. Der Bundeswirtschaftsminister habe starke Akteure im Wettbewerb mit staatlich geschützten Riesen wie EDF (Frankreich) oder Electrabel (Belgien) haben wollen.