: „Schwierige Phase“
MILCHBAUERN Die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) über ihre Position in der EU, die Zukunft der deutschen Kleinbauern und Subventionen für Großbetriebe
■ 44, ist seit Oktober 2008 Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Seit 1998 sitzt die gelernte Elektrotechnikerin für die CSU im Bundestag. Ihr Heimatort ist Feldkirchen-Westerham. Aigner ist Mitglied in 30 Vereinen, u. a. in der Faschingsgilde Vagen, in der Freiwilligen Feuerwehr und dem Trachtenverein Mangfalltaler.
INTERVIEW HANNA GERSMANN
taz: Frau Aigner, wie sieht das Dorfleben in zehn Jahren aus?
Hoffentlich noch so wie jetzt oder noch schöner. Das Leben auf dem Dorf ist dadurch geprägt, dass es nicht so anonym ist wie in der Stadt. Man ist eingebettet in ein Umfeld, hilft sich gegenseitig, hat ein sehr starkes soziales Netzwerk. In der Regel gibt es auch noch eine intensivere Vereinsstruktur.
Können Dörfer auch gut ohne Bauern auskommen?
Nein, die Landwirtschaft ist nach wie vor das Rückgrat des ländlichen Raumes. Trotz des Strukturwandels ist gerade die Land- und Ernährungswirtschaft in vielen Regionen der Garant für Arbeitsplätze und die Prosperität der Dörfer. In dem Dorf, aus dem ich komme, gab es früher auch mehr Höfe als heute. Entscheidend ist, dass die Struktur insgesamt auf dem Lande noch funktioniert.
Derzeit schaffen jeden Tag zehn Bauern ihre Kühe ab. Würden Sie noch jemanden empfehlen Milchbäuerin zu werden?
Ich glaube, dass die Milch Zukunft hat, weil es sich um ein qualitativ hochwertiges Produkt handelt und die Bevölkerung immer ernährt werden muss. Aber ohne Frage ist es eine schwierige Phase momentan.
Eine Phase? Familienbetriebe fürchten den Ruin, und Sie geben ihnen billigeren Agrardiesel, der vor allem größeren Höfen zugutekommt.
Die Steuererleichterung beim Agrardiesel hilft allen Landwirten, ob groß oder klein. Damit haben wir den Zustand vor 2005 wiederhergestellt, das heißt, dass der unter Frau Künast eingeführte willkürliche Selbstbehalt und die willkürliche Obergrenze wegfallen. Darüber hinaus überbrücken wir mit Liquiditätshilfen die momentane Krise in der Hoffnung, dass sich die Preise auf höherem Niveau stabilisieren. Und wir ziehen die Direktzahlungen auf europäischer Ebene vor.
Aber Bürgschaften und vorgezogene Hilfen bringen den Höfen faktisch keinen Cent mehr.
Sie können damit aber jetzt überleben. Die Politik macht eben nicht den Preis.
Der Preis verfällt, weil es zu viel Milch gibt. Würden Sie es ernst meinen mit der Rettung der Kleinbauern, müssten Sie da ran.
Angebot und Nachfrage stimmen nicht überein. Die Menge der Milch ist in etwa gleich geblieben, wir haben aber ein Problem beim Absatz. Er ist eingebrochen, und zwar europa- und weltweit.
Also muss die Produktionsmenge gesteuert werden?
Dafür sehe ich momentan leider keine Chance. Ich habe gemeinsam mit Frankreich und Österreich versucht, eine Anhebung der Milchquoten in der EU zu verhindern. Dafür gibt es derzeit keine Mehrheit. Ich brauche dafür entweder einen Vorschlag der EU-Kommission – den macht sie nicht. Oder einen einstimmigen Beschluss aller 27 Agrarminister – den gibt es nicht.
Deutschland hat doch Macht – es konnte sich doch sogar gegen die Veröffentlichung der EU-Agrarsubventionen sperren.
Das ist doch etwas ganz anderes! Bei der Milch geht es um Mehrheitsbeschlüsse und bei diesem Sachverhalt um eine nationale Umsetzung. Wir hatten dazu ungleiche Gerichtsurteile, die einer Veröffentlichung entgegenstanden. Mittlerweile haben wir aber auch Urteile, die datenschutzrechtliche Bedenken nicht bestätigen. Deshalb werden alle Daten veröffentlicht.
Warum bekommen Großkonzerne Agrarsubventionen? Müssten Sie die nicht schleunigst umverteilen?
Wer nach den Vorgaben der Europäischen Union eine Fläche bewirtschaftetet, bekommt dafür Zahlungen. Und wer sich etwa nicht an die Düngemittelverordnung oder die Nitratrichtlinie hält, riskiert Abzüge.
Lassen sich die milliardenschweren Zahlungen damit noch rechtfertigen?
Wir meinen, dass wir den Wettbewerbsnachteil europäischer Landwirte gegenüber Drittländern ausgleichen müssen, die geringere Umwelt- und Tierschutzstandards haben.
Man kann es auch anders sagen: Die deutsche Landwirtschaft ist derzeit nicht überlebensfähig.
In der Lebensmittelproduktion sollten wir uns nicht von anderen Ländern abhängig machen. Und außerdem wird die Fläche durch die Bewirtschaftung der Bauern instand gehalten.
Acker würde verbuschen, was spricht gegen mehr Wald in Deutschland?
Wir haben sehr viel Wald, der ist auch wichtig, aber nicht nur.
Es sieht derzeit so aus, als schützten Sie die Bauern auch zum Wohl der notleidenden CSU, der diese einstigen Stammwähler gerade weglaufen.
Das wird gern eingeredet. Aber es geht hier um Menschen, denen ich helfen möchte, ihre Existenz aufrechtzuerhalten.
Wie oft meldet sich Horst Seehofer – Ihr Amtsvorgänger und jetziger Parteichef – bei Ihnen?
Nicht so oft, wie Sie das wahrscheinlich vermuten.
Nicht einmal am Tag, aber einmal in der Woche?
Bestenfalls.
Der Spiegel nannte sie vor kurzem Seehofers „Chefsekretärin“. Ärgern Sie solche Berichte?
So etwas gehört zum Geschäft.
Stört Sie auch nicht, dass in etwa Sätze gefallen sind wie: Die ist Elektrotechnikern und hat keine Ahnung vom Fach?
Einer, der Gesundheitsminister ist, muss auch nicht automatisch Chirurg sein. Da fragt auch keiner nach.
Von wem lassen Sie sich beraten?
Ich habe in dem Ministerium 1.000 Mitarbeiter, mit den Forschungseinrichtungen sind es fast 5.000. Da ist ausreichend hervorragendes Wissen vorhanden.
Wie oft sprechen Sie mit dem Bauernverband, der Oppositionsbewegung und dem Bundesverband der Deutschen Milchviehhalter?
Ich spreche mit allen Verbänden.
Zum Runden Tisch Gentechnik kamen mehr Befürworter als Kritiker.
Das war eine gemeinsame Veranstaltung mit Forschungsministerin Annette Schavan. Und ich lade demnächst zu weiteren Treffen ein.
Bevor Sie Agrarministerin waren, galten sie als gentechnikfreundlich. Dann haben sie den Anbau von Genmais verboten. Verändert ein Ministeramt die eigene Positionen?
Ich bleibe dabei: Wir müssen forschen, gerade auch im Bereich der Grünen Gentechnik. Gegen den kommerziellen Anbau von Mon 810 habe ich mich aber klar ausgesprochen, weil es neue Hinweise auf Umweltgefahren gab.
Warum machen Sie keine Kampagne für das Label „Ohne Gentechnik“?
Das ist das nächste Fachgespräch. Wir haben die Entwicklung eines Labels in Auftrag gegeben.
Gehen Sie als Landwirtschaftsministerin noch zum Discounter?
Schon, aber die „Geiz ist geil - Mentalität“ ist mir gerade beim Einkauf von Lebensmitteln völlig fremd.
Sie sind für Verbraucherschutz und Bauernrettung zuständig. Die einen wollen billig kaufen, die anderen teuer verkaufen. Wie kommen Sie aus diesem Dilemma raus?
Ich sehe hier keinen Interessenkonflikt. Im Gegenteil: Die Bündelung der Zuständigkeiten ist vorteilhaft, etwa wenn ich den Konsens schon im Ministerium finden kann. Das ist einfacher, als wenn sich zwei Ministerien in Konfrontationsstellung befinden würden. Außerdem ist eine hohe Lebensmittelqualität auch im Sinne des Verbrauchers und die hat ihren Preis.
Bleibt Ihnen neben der Krise auf dem Lande überhaupt noch Zeit für den Verbraucherschutz, wie zum Beispiel bei Bankgeschäften?
Da sind wir gerade ganz intensiv dabei. Wir wollen zum Beispiel, dass es eine Finanzberatung gegen Honorar gibt. Wir prüfen auch, welche Qualifikation die Berater haben sollten.
Das machen Sie bis zur Wahl – und danach ziehen sie wieder aufs Land?
Ich gehe davon aus, dass ich Agrarministerin bleibe.