Das Genie und das Geld

Wenig strukturierte Inszenierung, die allein auf die Wirkung des Hauptdarstellers setzt und die aktuelle Dimension des Stoffs nicht ausleuchtet: Michael Bogdanov hat an den Kammerspielen Diderots „Rameaus Neffe“ einstudiert

Spiel der Antipoden ohne jeden Aktualitätsbezug

Eigentlich war es nur ein Lexikon. Und trug einen Titel, der wenig Skandalöses vermuten ließ: Enzyklopädie heißt das wichtigste, ursprünglich auf 35 Bände angelegte Werk des französischen Aufklärers Denis Diderot (1713–84), und wäre er in eine andere Zeit hineingeboren, hätte sein Projekt weder Anfeindungen noch überhaupt Beachtung provoziert. Doch die Verhältnisse lagen anders: Der katholischen Kirche und dem absolutistischen französischen Staat war jeglicher naturwissenschaftliche Ansatz, der der Theologie keinen gebührenden Stellenwert einräumte, höchst suspekt. Als gefährlich außerdem jeder, der dem Menschen Erkenntnisfähigkeit nicht aufgrund göttlicher Eingebung, sondern aufgrund der Fähigkeiten seines (mit Atomen bestückten) Gehirns zutraute: Schmähschriften, Anklagen – kurz: Behinderungen verschiedenster Art war Diderot, der einst hatte Jesuit werden wollen, ausgesetzt; er selbst prognostizierte übrigens, dass das 28-bändige Werk „mit der Zeit eine geistige Revolution hervorrufen“ werde. Und das tat es: Obwohl schließlich nur in der Provinz und in gemäßigter Auflage erlaubt, wurde die Enzyklopädie manisch gekauft – im In- und Ausland. Ein Armutszeugnis für das Ancien Régime, das schon bald keine Neuauflage des Lexikons mehr gestattete, die Verbreitung aber nicht verhindern konnte.

Eine Wirkung, mit der sich das jetzt an den hiesigen Kammerspielen inszenierte Diderot-Stück Rameaus Neffe, 1761-74 geschrieben und von Goethe übersetzt, kaum messen kann. Die soziologische Dimension ist trotzdem beträchtlich, leuchtet der Dialog zwischen zwei Figuren namens „Er“ (Albert Kitzl) und und „Ich“ (Felix von Manteuffel) doch wichtige Facetten des Künstlerdaseins aus – ein Szenario, das für den angefeindeten, oft mittellosen Bohémien Diderot zweifellos autobiographische Züge trägt. Die Gratwanderung zwischen Idealismus und marktgerechter Produktion beschreitet der mittellose, sinnenfreudige Neffe Rameaus (Kitzl) und kollidiert dabei in scharf pointierten Dialogen mit seinem Widerpart, der es an Einwürfen moralisierender Art nicht fehlen lässt. Zwischen den Antipoden entscheiden mag sich Diderot allerdings nicht; auch hier frönt er der naturwissenschaftlichen Akkuratesse, erträgt den nicht auflösbaren Widerspruch und bietet keine schlichte Schwarzweiß-Malerei.

Was allerdings Michael Bogdanov betrifft, der die Kammerspiel-Version inszeniert hat, so scheint er sich an dem sich stetig reproduzierenden Kontrast der beiden so sehr ergötzt zu haben, dass er dem Stück etliche Längen beschert. Zudem hat er wohl ausschließlich auf die – in der Tat überzeugenden – schauspielerischen Fähigkeiten des Hauptdarstellers gesetzt. Und genau dies ist es, was die Inszenierung letztlich statisch macht: Denn wenn es auch das gute Recht der Regie ist, Widerparts aufeinander prallen zu lassen, so fehlt hier doch das Konzept – womit nicht eine Auflösung angemahnt werden soll. Wohl aber eine Struktur, die über das freie Sich-Entwickeln-Lassen der Antipoden hinausgeht und nicht den Eindruck erweckt, als schaue sie ein wenig gelangweilt dabei zu.

Künstler zwischen Selbstvermarktung und Ideal

Eine solche Attitüde ist schon deshalb nicht angemessen, weil die allenthalben dräuenden Kürzungen auch im Hamburger Kulturbetrieb und die manchmal zweifelhafte „Einbindung“ von Künstlern in aufstrebende, optisch und ethisch aufzuhübschende Stadtentwicklungs-Projekte zur Diskussion über künstlerisches Selbstverständnis genügend Anlass geben. taz

nächste Vorstellungen: 10.+12.2., 20 Uhr, Kammerspiele