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Archiv-Artikel

„Tschuldigung, gerade war Stau“

Die BVG schult ihre Fahrer im Umgang mit renitenten Fahrgästen. So sollen Eskalationen verhindert werden. Die Fahrer klagen derweil über Alltagsstress und setzten auf ihre ganz eigenen Strategien

VON ULRICH SCHULTE

Das ist natürlich die eine Sache. In einem Seminarraum im Betriebshof Wedding, Müllerstraße 79, zu sitzen und „stille Post“ zu spielen. Die andere Sache ist, vorn in einem überfüllten Doppeldecker zu hocken, fünf Minuten Verspätung im Nacken, und auf der Rückbank pöbeln Jugendliche. Frank, Jörg und den anderen vier gestandenen BVG-Busfahrern ist das Erste an diesem Vormittag etwas peinlich, das Zweite ist für sie Alltag.

Beides hat miteinander zu tun. Die BVG klagt über rohere Sitten in der Stadt, ausbaden müssen das vor allem die BusfahrerInnen (siehe unten). Die, anders als U-Bahn-ChauffeurInnen, täglich tausendfach „Kundenkontakt“ haben, sich den Ärger der Leute über Tariferhöhungen, Verspätungen oder den Stopp zu weit links von der Bordsteinkante anhören müssen. Seit Ende der 90er schult das BVG-Ausbildungszentrum sie in Seminaren, mit Konflikten, Krisen und Gewalt adäquat umzugehen.

Wobei Letzteres die absolute Ausnahme ist, das betont Ausbilder Eberhard Victor mehrmals. „Wir setzen im Vorfeld an. Es geht zum Beispiel darum, andere Perspektiven einzunehmen.“ Deshalb hat die kleine Gruppe in einem geparkten Bus schon Rollenspiele gemacht, einer filmt, jeder übernimmt die Rolle des Fahrgastes. „ ‚Hör auf hier rumzublubbern‘ ruft bei einem erbosten Kunden eine andere Reaktion hervor als ‚Tschuldigung, ich bin zu spät, gerade war Stau‘ “, sagt Victor. Gerade solch einfache Dinge vergegenwärtigt das Training.

In einem kurzen Fachteil geht es dann um psychologische Grundkenntnisse – Appellebene, Sachebene, Sympathie, Antipathie. Auch Situationen, in denen es richtig knallt, werden besprochen. „Solche Eskalationen müssen die Fahrer frühzeitig durchbrechen: indem sie Fahrgäste um Hilfe bitten, die Leitstelle anfunken, auf sich aufmerksam machen“, sagt Ausbilder Victor.

„Stille Post“ kommt nicht gut an. Die Fahrer erzählen sich brav das Bild vom Overhead-Projektor weiter, dass der letzte etwas völlig anderes aufmalt, ist vorhersehbar. „Dieses Spiel passiert täglich im Betrieb. Ich kenne jemanden, der jemanden kennt“, doziert Personallehrer Jens Julius. Die Wirkung von ständigem Stress – Adrenalin im Blut, Nervosität, irgendwann gar Magengeschwüre – kann sich jeder vorstellen. „Und da werden die Wendezeiten gekürzt“, übersetzt hinten einer in BVG-Sprache. Auf einer der nächsten Folien steht ganz oben „Problemverursacher“ und darunter „Behinderte“ oder „Alte Menschen“. Das sagt viel aus über den betriebsinternen Sprachgebrauch, fast noch mehr aber über Zwänge, in denen Fahrer durch den Zeitplan stecken.

Eigentlich sollten heute zwölf Kollegen hier sitzen, nicht sechs. Die Betriebshöfe haben Probleme, ihre Leute vom Fahrdienst freizustellen. Gerade mal 300 haben bis jetzt das Training absolviert, bei 2.790 BVG-BusfahrerInnen – darunter nur 96 Frauen – ist das „eindeutig zu wenig“, sagt Thomas Elstermann vom Personalrat. Ganz zu schweigen von den weiteren rund 1.000 Fahrern, die die BVG-Tochter BT Berlin Transport zu niedrigeren Löhnen beschäftigt. In zwei Jahren, so das Ziel, sollen alle deeskalationserprobt sein.

Seit 7 Uhr üben die sechs Fahrer zusammen, bis 15 Uhr dauert es und um Punkt zwölf wechseln alle in die Kantine. Dort erfährt man bei Bockwurst und Kartoffelsalat einiges über ihren Alltag. Wie es ist, mit Verspätung an der Endhaltestelle anzukommen und mit Verspätung sofort zurückzufahren, weil die Wendezeit zu knapp ist. Dass es unbeliebte, besonders harte Linien in Wedding oder Neukölln gibt, wo viele Jugendliche keine Perspektive haben. Warum die Leitstelle wenig hilft, wenn richtig Stress im Bus ist: „Wenn die sich endlich melden, wollen sie wissen, in welcher Richtung man steht. Vor welcher Hausnummer. Auch nachts. Bis dahin haste längst ein Messer im Rücken.“ Irgendwann, sagt einer, „fährt man mit ’ner Scheißegal-Haltung“.

Für die Straße hat jeder eigene Strategien entwickelt, Training hin, Training her. Was also tun, wenn Störer penetrant pöbeln – Reden, Leitstelle, Polizei? „Motor aus, Türen auf, Schluss. Dann macht der janze Bus Revolte.“