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Die große Flut

DATENSCHUTZ Die Industrie nutzt private Daten, um uns mit Werbepost zu überschwemmen. Ein neues Gesetz sollte das einschränken. Eigentlich

VON KIRSTEN KÜPPERS UND DANIEL SCHULZ

Es ist jetzt so, dass Thilo Weichert nichts weiter tun kann, um den Datenschutz in diesem Land voranzubringen. Er kann nur im Büro sitzen und warten, da, wo sie in Kiel ihr Datenschutzzentrum haben, hinter einem gelben Flur, im dritten Stock eines hässlichen Gebäudes.

Weichert guckt immer wieder durch seinen Computer nach Berlin, aber auch das Internet gibt nichts Genaues her. Der grüne Lamellenvorhang hängt starr am Fenster, eine Wanduhr tickt, im Nebenraum surrt ein Kopierer. Zweimal die Woche geht Weichert Kanu fahren. Um sich abzulenken. Es ist eine angespannte Ruhe. Eine Ereignislosigkeit, die den schlaksigen 53 Jahre alten Landesdatenschutzbeauftragten von Schleswig-Holstein an den Fingernägeln knibbeln lässt. „Nach all der heißen Luft kommt jetzt wohl ein Ergebnis raus, das nicht viel bringt“, knurrt er. Weichert ist einen weiten Weg gegangen bis zu diesem Punkt, an dem sich entscheiden wird, ob sich etwas ändert. Ob die Flut von Reklame gestoppt wird.

Es ist nicht lange her, nur ein paar Monate, da war Thilo Weichert richtiggehend überrascht vom positiven Lauf der Dinge. Und das ist schon etwas für einen, der sich seit Jahrzehnten für den Schutz der Bürger gegen Datenmissbrauch engagiert. Der schon 1987 als Grünen-Mitglied in Strickpulli und mit Nickelbrille in Stuttgart die Großdemo gegen die Volkszählung organisiert hat, der eine Doktorarbeit geschrieben hat über Datenschutz, der in den Nachwendejahren als Berater des Bürgerkomitees zur Auflösung der Stasi den Osten Deutschlands bereiste, und der nun seit elf Jahren in Kiel sitzt. Es sah ja auch gut aus: Ein neues Gesetz würde kommen. Eine freundliche Novelle, die anerkennt, dass die Menschen in einer Welt voller Telefone und Computer leben. Künftig sollten die Menschen sich nicht mehr fragen müssen, warum ihr Briefkasten vor Werbung überquillt. Woher die Firmen die Adressen haben und warum sie so gut Bescheid wissen. Die Menschen sollten nicht mehr ihren Daten hinterherlaufen, die Händler jederzeit an jedermann verschachern können. Künftig würden die Unternehmen brav anfragen müssen, ob sie Frau X oder Herrn Y mit ihrer bunten Reklamepost behelligen dürften. Und das Gesetz sollte es ihn leicht machen zu sagen: Nein.

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