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Archiv-Artikel

„EU kann mit Sanktionen vorangehen“

Kerstin Müller (Grüne), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, will trotz Frieden in Südsudan keine Entwicklungshilfe für Sudans Regierung, sondern Sanktionen gegen Kriegsverbrecher. Ein Eingreifen in Darfur ohne Zustimmung Afrikas lehnt sie aber ab

INTERVIEW DOMINIC JOHNSON

taz: Vor vier Wochen wurde ein Friedensabkommen für Südsudan unterschrieben. Jetzt waren Sie vor Ort. Herrscht in Südsudan Frieden?

Kerstin Müller: Es wird jedenfalls nicht mehr gekämpft, und die Unterzeichnung des Friedensvertrages hat bei den Menschen große Hoffnungen geweckt. Südsudan steht nach mehr als 20 Jahren blutigem Bürgerkrieg ganz am Anfang. Es gibt kaum Schulen, fast keine Gesundheitsversorgung. Das wenige, was an Infrastruktur da war, wurde während des Krieges zerstört. Die einzige Straße, die gebaut wird, habe ich gesehen.

Die UNO will für dieses Jahr massiv erhöhte Hilfsgelder für den Wiederaufbau Südsudans. Wird sich Deutschland daran beteiligen?

Wir haben auf deutscher Seite eingefrorene Mittel von 20 Millionen Euro freigegeben, auf europäischer Ebene etwa 400 Millionen. Aber wir dürfen keine Entwicklungszusammenarbeit über die Zentralregierung in Khartum abwickeln, solange in Darfur und anderen Teilen des Sudans schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Unsere Überlegungen gehen dahin, unsere Hilfe über Nichtregierungsorganisationen und UN-Organisationen laufen zu lassen, zum Beispiel bei Flüchtlingsrückkehr oder Entminung.

Aber die EU hat jetzt die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit Sudan unterzeichnet. Da können Sie gar nicht verhindern, dass EU-Geld nach Khartum fließt.

Ich finde es ein völlig falsches Signal, von einer Normalisierung der Beziehungen zu sprechen, solange in Darfur schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Wir haben gegenüber der EU-Kommission sehr deutlich gemacht, dass es nur eine konditionierte Vergabe dieser Mittel geben kann und diese nicht über die Zentralregierung vergeben werden dürfen, solange die Darfur-Krise anhält. Natürlich ist es in unserem Interesse, dass wir den fragilen Frieden in Südsudan stabilisieren, auch weil wir hoffen, dass dieser Friedensvertrag eine Grundlage sein kann für politische Lösungen in Darfur.

Aber es ist doch gar nicht abzusehen, dass es in Darfur zu einer politischen Lösung kommt.

In der Tat hat sich dort die Menschenrechtslage verschlechtert, die Kämpfe gehen weiter, es wird weiter bombardiert, es werden auf beiden Seiten schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen – Vergewaltigungen, Vertreibungen, Dörfer werden verbrannt. Umso mehr müssen wir darauf drängen, dass es hier zu einer politischen Lösung kommt, dass Sudans Regierung sich an ihre Verpflichtungen hält – Ende der Bombardierungen, Entwaffnung der Janjaweed-Milizen. Nun sollen ja die Darfur-Friedensgespräche wieder aufgenommen werden, und ich glaube, dass hier eine neue Dynamik entstehen könnte. Jedenfalls habe ich die SPLA (die in Südsudan jetzt herrschende Rebellenbewegung, d. Red.) aufgefordert, ihren politischen Einfluss bei Darfurs Rebellen geltend zu machen.

Sind Sie für UN-Sanktionen gegen die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen in Darfur?

Die Bundesregierung hat sich dafür von Anfang an eingesetzt. Nachdem jetzt der Bericht der Darfur-Untersuchungskommission der UNO über die Menschenrechtsverletzungen vorliegt und in einer an Kofi Annan übergebenen Liste klar Verantwortliche benannt wurden, sollte man gezielte Sanktionen verhängen – Einreiseverbote, Einfrieren von Guthaben. Hier kann im Übrigen die EU vorangehen und selbst diese Sanktionen verhängen.

Fürchten Sie nicht, dass diese Leute sich dann nicht mehr an ihre Verpflichtungen für Südsudan gebunden fühlen?

Nein, das glaube ich nicht. Es kann nicht sein, dass, weil nun die Regierung in Khartum und der Süden einen Friedensvertrag geschlossen haben, wir bei Darfur ein Auge zudrücken. Es ist eher umgekehrt: Wenn es nicht gelingt, die anderen Krisen in Sudan zu befrieden, in Darfur oder Ostsudan, wird das negative Auswirkungen auf Südsudan haben.

Muss die internationale Gemeinschaft nach dem Friedensschluss für Südsudan jetzt nicht auch in Darfur einen Gang zulegen? Es wird ziemlich bizarr sein, wenn der Sicherheitsrat eine große UN-Truppe nach Südsudan schickt, wo kein Krieg mehr herrscht, und in Darfur, wo Krieg herrscht, steht eine viel schwächere Truppe der Afrikanischen Union (AU).

Die UN-Truppen im Süden werden die Aufgabe haben, den Friedensvertrag zu überwachen, voraussichtlich nach Kapitel VI der UN-Charta, und beide Konfliktparteien haben zugestimmt. In Darfur hat die AU erklärt, dass sie den Waffenstillstand zwischen Rebellen und Khartum überwachen will, der nicht eingehalten wird, und auch für eine politische Lösung sorgen will; und sie will, dass die Europäer sie unterstützen. Da können wir nicht hingehen und sagen: Wir können es aber besser. Aber was wir tun, ist, die AU finanziell und logistisch umfassend zu unterstützen. Möglicherweise ist diese Mission zu klein, aber auch Kofi Annan hat schon gesagt: wenn sich in Darfur kein Friedenswillen zeigt und die AU allein zu schwach ist, muss der Sicherheitsrat Weitergehendes beschließen.

Sind wir jetzt nicht an diesem Punkt angelangt?

Die AU hat gerade beschlossen, dass sie ihre Mission mit eigenen Kräften aufstocken will, und erwartet wiederum die Unterstützung der Europäer. Solange die AU nicht sagt, wir schaffen das nicht, sollten wir nicht an der AU vorbei UN-Truppen beschließen. Das geht nur gemeinsam.