: Billigjobs sollen Wohlfahrt retten
Wohlfahrtseinrichtungen in Nordhrein-Westfalen leiden unter Schwund und verkürzten Dienstzeiten von Zivildienstleistenden. Jetzt sollen in einigen Einrichtungen Minijobs und 1-Euro-Jobs die Unterversorgung vermeiden helfen
AUS BIELEFELD UWE POLLMANN
Die Paderborner Blindenschule, eine Einrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe mit Internat für 170 schwerst-mehrfach behinderte Schüler, hat Probleme, geeignete Zivildienstleistende zur Betreuung und Pflege der Kinder zu bekommen. Neun Zivildienstplätze gebe es in der Schule, sagt Verwaltungschefin Christiane Meierotte, „aber nur zwei Stellen sind besetzt“.
Den jungen Männern heute mangele es an der richtigen Überzeugung, vermutet Meierotte, zudem gelte die Pflege und Betreuung von Behinderten wohl nicht mehr als „cool“, wie Meierotte sagt. „Man macht es sich bequemer und fährt vielleicht Essen aus“, sagt die Verwaltungschefin. Nicht nur die Mentalität der Kriegsdienstverweigerer setzt den Einrichtungen mit den vermeintlich unattraktiveren Zivi-Jobs zu, sondern auch das gegenwärtige Verfahren der Einberufung zum Pflichtdienst.
Die Dienstzeit war im Oktober 2004 ein weiteres Mal verringert worden – von zehn auf neun Monate. Laut Kölner Bundesamt für den Zivildienst haben sich bisher bundesweit nur 81.500 Zivis gemeldet. Im Januar 2004 seien das noch rund 90.000 gewesen. In Nordrhein-Westfalen waren im Januar 2004 noch 20.500 Zivis gemeldet, ein Jahr später nur noch 18.500. Rund 17.000 Stellen blieben bisher NRW-weit unbesetzt.
Am Zivi-Schwund ist zudem die Senkung des Einberufungsalters schuld, das auf 23 Jahre zurückgeführt worden sei, sagt der Sprecher des Bundesamtes, Rüdiger Löhle. „Außerdem ist der Musterungsgrad T3, also tauglich mit Einschränkungen, weggefallen. Das waren immerhin auch 15 Prozent der Einberufenen.“ Das führt dazu, dass bei der Caritas im Bistum Paderborn momentan von 2.400 Plätzen nur rund 1.000 belegt sind. Die Betheler Anstalten in Bielefeld bieten 300 Zivildienstplätze, haben aber momentan nur 130 besetzt. Manche Einrichtungen werben bereits jetzt schon mittels Zeitungsanzeigen um junge Zivildienstleistende.
Als Ausgleich für die Zivildienstplätze forciert der Paderborner Caritasverband hauptsächlich das Ehrenamt und Jobs auf 400-Euro-Basis. Wie viele Stellen da geschaffen wurden, ist unbekannt. Ein-Euro-Jobber will man allerdings nicht als Lückenbüßer einstellen, sagt Caritas-Arbeitsreferent Christoph Eikenbusch. „Ein-Euro-Jobs dürfen nicht die wegbrechenden Zivildienststellen ersetzen.“ Alle Caritas-Einrichtungen sollten sich im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung daran halten, fordert er.
Auch die von Bodelschwinghschen Anstalten halten nichts davon, mehr Ein-Euro-Jobs in den Bereichen anzubieten. In Bielefeld-Bethel wirbt man eher für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ). Schon jetzt gebe es rund 125 junge Menschen im sogenannten „Bethel-Jahr“, sagt Alexander Pollhans, Leiter der Abteilung Freiwilliges Soziales Jahr und Zivildienst: „Allerdings erleidet Bethel durch weniger Zivildienstleistende noch keinen Pflegenotstand.“
Den Pflegenotstand hat auch die Paderborner Blindenschule noch nicht erreicht. Um die Betreuung zu gewährleisten, hat die Blindenschule vier Helferinnen im Freiwilligen Sozialen Jahr eingestellt. Außerdem wurde drei Kinderpflegerinnen eine befristete halbe Stelle geboten. Im Internat, in dem die schwerst-mehrfach behinderten Schüler von weiter außerhalb untergebracht sind, will Verwaltungschefin Meierotte es jetzt „mit Ein-Euro-Jobbern probieren“. Doch motivierte Zivildienstleistende aus früherer Zeit werde sie so nicht ersetzen können, sagt Meierotte. „Es haben sich nun die ersten vorgestellt – das geht gar nicht.“