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Archiv-Artikel

„Schwarze Pädagogik feiert Auferstehung“

Die RTL Reality Show „Super Nanny“ will überforderten Eltern angeblich die richtige Erziehungsmethode beibringen. Doch die harte Hand der Nannys ist antiquiert, meint Renate Blum-Maurice vom Kölner Kinderschutzbund

taz: Frau Blum-Maurice, das gesellschaftliche Interesse an Erziehungsfragen ist in den letzten Jahren gestiegen. Was sind die Gründe hierfür?

Renate Blum-Maurice: Es gibt verschiedene Gründe dafür. Zum einen erstmal – und das ist positiv – interessieren sich viele Erwachsenen mehr für ihre Kinder als früher. Andererseits aber sind viele Eltern verunsichert. Sie wissen nicht, wie man mit Kindern umgeht, weil man das in der Kleinfamilie nicht mehr lernt. Viele junge Eltern, die zu uns kommen, hatten vorher noch nie einen Säugling auf dem Arm. Niemand hat ihnen erklärt, was es bedeutet, wenn das Baby schreit und wie es zu beruhigen ist. Da herrscht viel Beratungsbedarf, der das Thema ins öffentliche Interesse rückt. Ein weiterer Grund für die Relevanz von Erziehungsfragen ist aber auch die sinkende Geburtenrate. Da fragt sich eine Gesellschaft ganz automatisch, woran das liegt und betrachtet ihren Umgang mit Kindern kritisch.

Sind Erziehende heute tatsächlich mit schwerer wiegenden Problemen konfrontiert als noch vor zehn Jahren?

Mit anderen. Die Anforderungen an Erziehung ändern sich mit den Anforderungen, die eine Gesellschaft an ihre erwachsenen Mitglieder stellt. Erwachsene müssen heute flexibel sein, anpassungsfähig, verhandlungsfähig. Das war vor 50 Jahren anders. Da war Gehorsamkeitserziehung notwendig. Heute nicht.

Die RTL-Serie „Super Nanny« versucht in einer Art Reality-Show vorzuführen, wie Erziehungsprobleme mit Disziplin und Gehorsam gemeistert werden können. Eine Wiederauferstehung antiquierter Erziehungsmethoden?

Ja. Und das sehen wir mit Sorge. Denn in „Super Nanny“ wird der Eindruck vermittelt, dass Kinder vor allem Disziplin brauchen, dass Kinder vor allem gehorsam sein müssen. Kinder brauchen aber auch ganz viel Zuwendung und Aufmerksamkeit. Hier wird eine Erziehungsmethode propagiert, die die Kinder eigentlich nicht fit macht für das, was sie heutzutage brauchen. Natürlich brauchen sie auch Regeln, aber die sollte man gemeinsam erarbeiten und nicht den Kindern einfach überstülpen wie es die Super Nanny macht. Wenn es jetzt plötzlich wieder darum geht, Kinder hauptsächlich zu disziplinieren oder sogar zu brechen, dann feiert die schwarze Pädagogik eine Auferstehung. Außerdem stellen wir uns besorgt die Frage, was diese Art von Sendungen, bei denen mit der Kamera in die Familien rein gegangen wird, eigentlich für die Betroffenen bedeutet. Wie ist es insbesondere für die Kinder, wenn sie auf diese Art und Weise einem Millionenpublikum vorgeführt werden? Deshalb hat der Kinderschutzbund RTL und anderen Sendern vorgeschlagen, gemeinsam Standards für das Filmen von Kindern für dokumentarische Sendungen zu entwickeln, so wie es sie für Spielfilme bereits gibt.

Wie sieht denn die Antwort des Kinderschutzbundes auf die neuen pädagogischen Anforderungen in der heutigen Zeit aus? Haben Sie spezielle Angebote für überforderte Eltern?

Die haben wir schon immer. In Köln seit über 50 Jahren. Der Kinderschutzbund setzt sich ja ganz besonders für Familien ein, die unter schwierigen sozialen oder persönlichen Bedingungen leiden. Wir bieten Beratung an, haben aber auch viele präventive Maßnahmen im Programm. Neu ist unsere aufsuchende Familientherapie. Da gehen die Therapeuten in die Familien und können ganz eng mit Eltern und Kindern arbeiten und beiden zur Seite stehen.

Wie die Super Nanny?

Nein. Wir bieten keine schnellen vereinfachten Erziehungsrezepte, sondern Hilfe, die die Geschichte jeder Familie respektiert und in deren Rahmen mit ausreichend Zeit und viel Geduld gemeinsam Lösungen gefunden werden können.Interview: Christiane Martin