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Archiv-Artikel

„Betrinken kannst du dich auch alleine!“

Wohngemeinschaft statt Altersheim? Für ein Filmprojekt haben fünf ältere Damen das soziale Experiment gewagt – zwei davon schildern, warum die Fetzen fliegen mussten

INTERVIEW SUSANNE LANG UND NATALIE TENBERG

taz: Frau Lenz, haben Sie die WG schon vermisst?

Mechthild Lenz: Oh nein. Ich habe mich erst mal befreit gefühlt.

Was war so grauenvoll?

Es war einfach anstrengend. Zum einen, weil die Gruppe nicht sehr homogen war, zum anderen wegen der Filmsituation. Aber ich bereue die Zeit in der WG nicht. Sie war sehr interessant.

Frau Peters, sind Sie auch erleichtert?

Ursula Peters: Oh ja, total. Ich bin ja vor den anderen aus dem Projekt ausgezogen. Heute glaube ich, dass ich falsche Erwartungen hatte. Ich dachte, ich träfe dort gleich gesinnte Menschen, die mich und meine Kunst verstehen. Aber man muss da wohl bescheidener sein.

Mit welchen Mitbewohnern würden Sie denn gerne in eine WG ziehen?

Peters: Mit gar niemandem. Das ist viel zu eng. Vor allem: Stellen Sie sich mal diese furchtbare Zwangslage vor, wenn man todkrank ist.

Aber Sie sind doch nicht todkrank?

Jetzt nicht, aber wer weiß? Von den anderen habe ich übrigens auch nur gehört, dass sie den Teufel tun werden und in einer WG wohnen, wenn es ihnen nicht mehr so gut geht. Bloß eine eigene Wohnung! Wir haben uns wirklich alle extrem auf einen anderen Rhythmus einstellen müssen. Ich bin ein Nachtmensch, aber man konnte ja ab sieben Uhr morgens kein Auge mehr zutun in der WG!

Wäre es denn entspannter gewesen, wenn auch Männer in der WG gewohnt hätten?

Peters: Ja, ich kann besser mit Männern arbeiten!

Lenz: Ich kann nur für mich sagen, dass eine WG Generationen übergreifen und so gemischt wie möglich sein müsste. Auch in sozialer Hinsicht. Ruhig mit Leuten, die Geld haben und ein bisschen was in die Kasse bringen.

Frau Agneskirchner, weshalb haben Sie als Regisseurin denn eine WG gecastet und keine existierende begleitet?

Alice Agneskirchner: Die Generationenhäuser und WGs, die sich tatsächlich gründen, kann man an einer Hand abzählen. Daher bin ich auf das Format der Doku-Soap ausgewichen. Ich fand keine WG, die sich nicht bereits wieder in Auflösung befunden hätte.

Lenz: Das ist ja auch eine Geldfrage, man muss ein großes Haus in der Stadt bezahlen können. Außerdem ist die Architektur noch gar nicht darauf ausgerichtet. Früher gab es ja diese Großfamilienhäuser, die sind aber abgerissen oder in Gewerberäume umfunktioniert worden.

Agneskirchner: Oh ja, was haben wir gesucht, um überhaupt eine passende Wohnung zu finden, mit ungefähr gleich großen Zimmern ohne Durchgänge, großen Gemeinschaftsräumen und einer Küche. Das hat uns mindestens drei Monate gekostet!

Lenz: Da müsste sich mal die Politik einsetzen, und Gelder umverteilen, um diese Wohnraumprojekte zu unterstützen.

Aber warum lassen sich diese WG- oder Haus-Projekte so schwer leben, wie ihr Film es zeigt? Ist man im Alter weniger bereit, Abstriche zu machen?

Lenz: Nee, überhaupt nicht.

Agneskirchner: Also ich könnte mir schon vorstellen, dass die Perspektive, für eine längere Zeit dort zu wohnen, den Anspruch erhöht. Alles soll perfekt sein.

Lenz: Das sehe ich nicht so. Ich wüsste nicht, wo ich keine Abstriche machen könnte. Selbstverständlich gibt es ein paar Grundvoraussetzungen, die würde ich aber auch in der Familie oder als junger Mensch zur Bedingung machen. Mir ist vor allem wichtig, dass ich eine Tür zumachen kann, mich zurückziehen kann. Aber das hat ja nichts mit Alter zu tun. Es geht um Teamfähigkeit, die mir in unserer WG gefehlt hat.

Klingt eher nach den üblichen Problemen.

Lenz: Na klar, das Theater ums Telefon, um den Putzdienst et cetera, das ist ja aber zu langweilig für einen Film.

Waren Ihre vielen Aktionen, der Besuch eines Puhdys-Konzerts zum Beispiel, auch für den Film inszeniert?

Agneskirchner: Nein, gegen den Begriff „Inszenierung“ würde ich mich auch wehren. Von mir sind Rahmenbedingungen geschaffen worden, für eine Situation, die real sein könnte. Es gab aber kein Drehbuch. Die Protagonisten, das sind ja echte Menschen, haben lediglich diese Bedingungen für sich angenommen. Wenn ich mehr arrangiert hätte, wäre „Big Brother“ daraus geworden. Und das wollte ich auf keinen Fall.

Peters: Das Konzert war meine Idee! Ich habe Kontakte in den Osten, und die Puhdys sind eine der bedeutendsten Rockbands aus der DDR-Zeit. Ich wollte da unbedingt hin, und die anderen fanden die Idee gut. Alice hat es dann für uns arrangiert, aber wir haben den Anstoß gegeben.

Es hat also nicht geknallt, weil man im Ruhestand mehr zu Hause ist und deshalb größere Reibungsflächen hat?

Peters: Überhaupt nicht.

Lenz: Im Gegenteil, wir waren ja immer weg.

Agneskirchner: Ich glaube, das ist ein Vorurteil. Man muss nur mal die Augen aufmachen, dann sieht man, dass sich das Seniorenbild total verändert. Ich meine, 2050 wird über die Hälfte der Bevölkerung über 60 sein. Die sitzen nicht nur zu Hause, sondern bleiben sehr aktiv.

Diese „Oldies“, wie Sie, Frau Lenz, im Film diese Altersgruppe ja sehr schön bezeichnen – als Pendant zu den Teenies –, haben noch keinen Platz in der Gesellschaft?

Lenz: Ich sträube mich einfach gegen diese Schubfächer. Mein Leben lang habe ich nicht in Schubfächern gelebt, und plötzlich – sobald man über 60 ist – geraten alle in ein Schubfach. Das kann doch nicht angehen, langfristig gesehen, dass man den gesamten Anteil von nicht mehr Berufstätigen in eine Gruppe einordnet. Das sind ja zum Teil bis zu 30 Jahre Altersunterschied!

Sie haben im Film gesagt, dass das die schwierigste Zeit im Leben sei.

Lenz: Ja, weil man sie komplett neu gestalten muss. Und das kann und will ich nur mit Leuten, die in diesem Alter Gestaltungschancen sehen. Deshalb hätte ich einen Film über Ursula und ihr Engagement viel spannender gefunden als über das Wohnprojekt.

Agneskirchner: Nee, das ist doch eine ganz andere Idee.

Lenz: Ach, lass mich doch mal rumspinnen. Wohnprojekte wird es geben, hundertprozentig, weil einfach kein Mensch mehr in diese Altersheime ziehen wird. Aber was es nicht gibt, sind Sozialprojekte mit engagierten Alten. Und der Film lebt ja auch davon, dass Ursula so viel organisiert, daran können sich andere wiederum orientieren. Gesellschaftspolitisch gibt es in diesem Alter so viel Potenzial.

Ist es wieder Ihre Generation, die sich auf eine Art emanzipieren muss und will – heute von traditionellen Rollenmustern fürs Alter?

Lenz: Das kann gut sein. Es gibt eben noch keine Wege für ein zeitgemäßes Leben über 60. Ähnlich wie wir in den 60ern für ein neues Frauenbild gekämpft haben.

Es erstaunt uns ehrlich gesagt, dass Sie alle als Motivation für die Film-WG einen Grund angegeben haben: Angst vor Einsamkeit. Sie machen nicht den Eindruck, als müssten Sie sich da wirklich Sorgen machen.

Lenz: Dadurch, dass man in diese Schubladen gerät, verliert man ja Kontakte. Man hat keine Kollegen mehr, die Kinder leben ihr Leben, man muss sich neue Leute suchen. Und obwohl ich viele Freunde habe, werden die Möglichkeiten, Beziehungen zu knüpfen, immer geringer. Da muss man gegensteuern.

Peters: Ein wahnsinnig wichtiger Punkt, denn die Einsamkeit zeigt sich ja vor allem an den sensiblen Nahtstellen im Jahr: an Heiligabend und Silvester. Ich habe eine derartige Angst davor, dass meine Tochter keine Lust mehr hat, mit mir zu feiern. Da habe ich langsam Komplexe. Letztes Jahr an Heiligabend dachte ich, na gut, jetzt lade ich mal ein, meine Tochter und ein paar Leute. Wir haben uns sehr gut unterhalten, viel getrunken, und irgendwann hatte ich wohl einen Blackout. Da kamen alle diese Ängste raus, die ich habe: dass ich mich umbringe, wenn ich ins Altersheim komme – ich!

Lenz: Da muss ich mich noch mal einschalten. Ich glaube nicht, dass das altersspezifisch ist. Auch genügend junge Leute sitzen trotz unzähliger Freunde Silvester plötzlich alleine da. Aber ich käme doch nicht auf die Idee, Silvester mit meinen Kindern zu feiern!

Peters: Ich doch auch nicht. Aber im Blackout kam das hoch. Wir haben mehr Ängste, als wir zugeben …

Lenz: Na, du vielleicht. Aber nicht wir – Heiligabend, du bist ja viel bürgerlicher, als ich angenommen habe! Ich dachte auch nicht, dass deine Tochter so besonders weihnachtsgeil wäre …

Peters: Das hat doch damit nichts zu tun. An Heiligabend hat aber zum Beispiel jede Kneipe dicht.

Lenz: Betrinken kannst du dich doch auch alleine!

Peters: Darum geht es doch nicht.

Agneskirchner: Ist es nicht vielleicht auch so, dass ihr beide unterschiedliche Wertvorstellungen habt, die ihr wechselseitig an die andere legt? Ich glaube, das ist etwas typisch Deutsches, ein Grund, warum wir uns alle, egal ob jung oder alt, schwer tun, auf engem Raum miteinander zu leben. Wir wollen es immer abgetrennt.

Noch eine Erklärung, die nichts mit dem Alter zu tun hat.

Agneskirchner: Ja, ich habe während des Drehens auch relativ früh gemerkt, dass die Alterstufe keine Rolle mehr gespielt hat. Und ihr habt wirklich gut unterhalten. Bisher wird Alter im Fernsehen, wenn überhaupt, in Form von Gesundheitsratgebern thematisiert, aber nie in Unterhaltungsformaten. Auf eine Art hat mir die Zeit mit euch sogar Lust darauf gemacht, alt zu werden.

Lenz: Echt? Das ist doch toll!

Peters: Oh, danke für die Blumen!