zwischen den rillen : Ortlose Atmosphären
Die alt gewordenen Techno-Veteranen A Guy Called Gerald und Laurent Garnier nähern sich auf ihren neuen Alben dem Jazz
Man mag es Laurent Garnier nicht verübeln, dass er sich nach fast zwanzig Jahren härtesten Einsatzes an den am stärksten umkämpften Frontabschnitten des weltweiten Kriegs gegen die Langeweile auf eine Künstlerexistenz zurückgezogen hat, wie sie jeder Studienrat gerne führen würde: Jazz machen und schlaue Bücher schreiben. Vor allem nach der Lektüre von „Elektroschock“, seinem autobiografisch geprägten Technogeschichtsessay. Immer ist Garnier dabei, wenn irgendwo etwas wächst und gedeiht. Er legt Platten in der Hacienda in Manchester auf, wo die britische Rave-Bewegung beginnt, nimmt den ganzen Acid-House-Wahnsinn mit, ist in den frühen Neunzigerjahren in Berlin und Frankfurt, spielt auf den frühen Love Parades und fährt nach Detroit (wo er vom Underground-Resistance-Chef Mike Banks als erste Amtshandlung ins Motown-Museum geschickt wird – im Gegenzug erklärt er Banks zum Berry Gordy des Techno: So können Geschichtslektionen danebengehen). Parallel zu den fortwährenden Reisen versucht er hartnäckig und erfolgreich, sein Heimatland Frankreich an die internationale Entwicklung in der elektronischen Musik anzuschließen.
So kann es nicht ewig weitergehen. Zum einen steht man das individuell nur mit immer größeren Ruhepausen zum Erholen der Ohren und zur Regeneration des Restorganismus durch. Zum anderen heißt es mittlerweile auch in der elektronischen Musik das Erreichte zu bewahren und zu verwalten, manchmal auch den Rückbau in die Wege zu leiten – die Zeiten uneingeschränkten Wachstums sind genauso vorbei wie die Hoffnungen auf elektronische Musik als unermüdliche Innovationsmaschine geschwunden.
Als wollte er diesen Umstand schon qua Betitelung abwehren, hat Garnier sein neues Album „The Cloud Making Machine“ genannt – ein Bild, in dem sich all die Phantasmen seines Buchs noch einmal bündeln: die heruntergekommenen und verlassenen Fabrikgebäude, in denen nun Spaß produziert wird, die Nebelmaschinen, die die Räume in wattiges Weiß tauchen, und eben auch jene Wunschmaschine, die im Zentrum all dessen steht: die Tanzfläche.
Da verwundert es ein wenig, wenn man die Platte selbst hört. Mit dem norwegischen Trompeter Bugge Wesseltoft hat Garnier einen ausgewiesenen Jazz-Musiker als Partner engagiert. Und tatsächlich klingt die Platte mehr nach den Prog-Sounds der mittleren bis späten Siebzigerjahre als nach einer rockenden Tanzfläche. Selbst ein Stück wie „Controlling The House“ zitiert zwar den Chicago House der späten Achtzigerjahre, gleicht aber eher dem Traumbild eines Dancetracks als dem Track selbst. Ansonsten überwältigt das Album zwar durch die schiere produktionstechnische Perfektion seiner Klangwelten – sein Wille zum Experiment läuft aber merkwürdig ins Lehre.
Auf eine ganz eigenartige Art und Weise fehlt dieser Musik der Ort: Wo soll man sie sich anhören? Zu Hause? Soll sie aus versteckten Lautsprechern über den Laufbändern ertönen, die verschiedene Flughafenterminals miteinander verbinden? Für Musik, die sich am Bandformat orientiert, stellte sich diese Frage nie: Ein Konzertsaal lässt sich bestuhlen. Aber eine Tanzfläche?
Ein Problem, dem sich auch Gerald Simpson stellen muss, und dass es ihm besser gelingt, dürfte wahrscheinlich an seinem Nomadentum liegen. Als Teil von 808 State war auch Simpson schon in den mittleren Achtzigerjahren dabei, als elektronische Musik sich anschickte, das zu werden, als was man sie kennt. Unter seinem Pseudonym A Guy Called Gerald veröffentlichte er mit „Voodoo Ray“ einen der ersten europäischen Acidtracks und 1995 schließlich eines der ersten Drum-’n’-Bass-Alben.
Mittlerweile ist er in Berlin gelandet, und neben all den anderen Einflüssen, die sich auf „To All Things What They Need“ auch durchhören lassen – Tabla und Drum-’n’-Bass-Rhythmen, Acid- und Ambient-Sounds – hat sich auch ein Gefühl für jenen House-Minimalismus gesellt, der die Musikmanufakturen Berlins international so beliebt macht. Ganz ähnlich wie Laurent Garnier verlässt sich aber auch Simpson auf Jazz-evozierende Atmosphärenvertonung.
Anders als bei Garnier verortet Simpson diese Atmosphären zwar im Jazz Funk der Siebzigerjahre. Doch wo man sich bei Garnier des Gefühls nicht erwehren kann, hier wolle jemand nach Hause kommen, hier solle ein Ort fixiert werden, da gleitet A Guy Called Gerald über und durch die Sounds seiner Vergangenheit und Zukunft. Wie Notizbucheinträge eines ewigen Reisenden gewinnen sie ihren Charme aus der Flüchtigkeit. TOBIAS RAPP
Laurent Garnier: „The Cloud Making Machine“ (F-Com/ Rough Trade); A Guy Called Gerald: „To All Things What They Need“ (Studio K7/ Rough Trade); Laurent Garnier: „Elektroschock“. Hannibal Verlag, 300 S., 24,90 €