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Archiv-Artikel

„Finnland ist für mich exotisch geworden“

Der Regisseur Mika Kaurismäki über seinen neuen Film „Brasileirinho“, brasilianische Choro-Musik sowie den andauernden Boom von Musikdokumentationen seit dem „Buena Vista Social Club“

taz: Herr Kaurismäki, wie „Moro No Brasil“ handelt auch Ihr neuer Film wieder von brasilianischer Musik – und ist doch ganz anders geworden.

Mika Kaurismäki: Ja. „Moro No Brasil“ war der Versuch, per Roadmovie eine Art Überblick zu versuchen. „Brasileirinho“ konzentriert sich jetzt auf einen bestimmten Musikstil, der nicht in „Moro No Brasil“ vorkam, obwohl ich ihn damals schon gerne dringehabt hätte.

Wie kam es zu dem Film?

Durch reinen Zufall. Ich war in Lausanne, als „Moro No Brasil“ Premiere hatte, und bei der Pressekonferenz fragte mich jemand, warum denn die Choro-Musik gefehlt habe. Daraufhin antwortete ich, über Choro müsste man einen eigenen Film machen. Woraufhin der Mann sagte: Ja gut, dann machen wir ihn. Das war Marco Forster, der dann mein Koproduzent wurde.

Haben Sie sein Angebot gleich ernst genommen?

Erst dachte ich auch, das wäre nicht seriös. Marco Forster hat vorher noch nie einen Film produziert, er ist ein Geschäftsmann, aber er hat das Projekt sehr konsequent verfolgt. Später habe ich noch den brasilianischen Produzenten Bruno Stroppiana hinzugezogen.

Es heißt, Sie hätten Choro zum ersten Mal bereits in Finnland gehört. Wie kam es dazu?

Das war ein Stück namens „Tico-tico no fuba“, das in den Sechzigerjahren ein weltweiter Hit war. Es wurde oft gecovert, und ich kann mich erinnern, dass es in Finnland oft im Radio lief. Damals wusste ich natürlich nicht, dass das Choro war.

Heute ist Choro außerhalb Brasiliens kaum bekannt.

Nicht einmal in Brasilien ist es so bekannt: Und das, obwohl es über hundert Jahre lang der dominierende Musikstil war. Viele denken, dass Samba das älteste Genre ist, aber Choro ist älter.

Beamte haben es im 18. Jahrhundert begründet, indem sie nach der Arbeit zusammen gespielt haben. Heutzutage spielen alle Bevölkerungsschichten Choro, aber das Genre wird immer noch mit der weißen Mittelschicht in Verbindung gebracht.

Sie leben in Rio. Im Unterschied zu „Moro No Brasil“ konnten Sie also praktisch vor der Haustür drehen, oder?

Ja, Rio ist die Hauptstadt des Choro, dort wurde das Genre geboren. Aber mittlerweile gibt es in vielen Städten Schulen, Workshops und Choro-Clubs: etwa in der Hauptstadt Brasilia, in Recife oder São Paulo.

Wie haben Sie die Musiker für Ihren Film ausgewählt?

Viele kannte ich schon, weil ich in Rio einen Club hatte. Dadurch wusste ich, wen ich nehmen würde und wie sie sich vor der Kamera verhalten würden. Das hat die Vorbereitungen enorm erleichtert. Unser Team bei den Dreharbeiten war wie eine kleine Familie.

Warum haben Sie Ihren Club in Rio aufgegeben?

Es war eine sehr schöne Erfahrung, aber auch ziemlich viel Arbeit. Irgendwann musste ich mich entscheiden, ob ich weiter Filmemacher oder lieber Clubbesitzer sein wollte. Am Ende habe ich mich dann für den Film entschieden (lächelt).

„Brasileirinho“ hat einen sehr klassischen Aufbau: Man lernt die einzelnen Musiker kennen, und am Ende stehen alle gemeinsam auf der Bühne. Das erinnert durchaus an den „Buena Vista Social Club“!

Ich habe versucht, den Film von den Instrumenten aus zu drehen: Tamburin, Gitarre … Es ist das gleiche Prinzip wie bei einer „Roda de Choro“, wie die Jam-Sessions der Choro-Musiker heißen: Man geht von einem Instrument zum nächsten, und dann kommt man zusammen.

Das Konzert am Ende hat seinen Grund nicht nur in der Erzählstruktur. Wenn man einen Musikfilm macht, muss der Ton gut sein. Und in einem guten Konzertsaal erhält man nun mal einen ziemlich guten Klang.

Glauben Sie, Ihr Film kann dazu beitragen, Choro bekannter zu machen?

Ob so ein Wunder passiert wie beim Buena Vista Social Club, das kann man nicht vorhersagen. Darauf habe ich auch nicht spekuliert. Aber ich habe schon gemerkt, dass Choro sehr stark im Kommen ist.

Ich lebe seit 15 Jahren in Brasilien, und in den letzten zwei bis drei Jahren ist das immer stärker geworden. Im Film sieht man einen Choro-Workshop mit 400 Teilnehmern. Als die Schule aufgemacht hat, gab es über 1.000 Bewerber! Und auch in Japan ist Choro sehr beliebt. Dort wird der Film wahrscheinlich sehr gut laufen.

Wird es auch eine Tournee der beteiligten Musiker geben?

Wenn der Film ins Kino kommt, wollen wir die Musiker auch zu Konzerten herbringen. Es soll nicht nur den Film, sondern auch Konzerte, eine DVD und eine CD geben: Wir haben einen Vertrag mit einer Plattenfirma und bereits so viel Material aufgenommen, dass damit zwei gute CDs produziert werden können.

Es scheint derzeit einen Boom an Musikfilmen renommierter Regisseure zu geben: Wenders, Scorsese …

Der Erfolg des Buena Vista Social Club hat sicher eine Tür aufgestoßen: Dadurch ist es einfacher geworden, für eine Musikdoku einen Verleih zu finden.

Was reizt Sie an der Form?

Ich hatte nie den Plan, Dokumentarfilme zu machen, aber es macht mir sehr viel Spaß. Anders als bei Spielfilmen kann man das Drehbuch vorher nie exakt festlegen, und das sollte man auch nicht: Man schreibt, während man dreht.

Bei Spielfilmen muss man zwar auch ab und zu improvisieren, aber es ist doch eher ein technischer Vorgang, ein Drehbuch auf der Leinwand umzusetzen: mit viel Druck und wenig Zeit.

Ist Ihnen Finnland mittlerweile fremd geworden?

Finnland ist exotisch geworden für mich. Ich versuche aber, wieder mehr Zeit dort zu verbringen. In den letzten Jahren war ich viel im Ausland – auch in Berlin. Ich habe hier meinen neuen Spielfilm „Honeybaby“ produziert und mir eine Wohnung in Prenzlauer Berg zugelegt. Ich werde wohl immer einen Fuß hier haben.

Gehen Sie auch auf Konzerte?

Ich bin gerne ab und zu in die kleinen Clubs in Prenzlauer Berg gegangen. Und manchmal, wenn finnische Bands hier gespielt haben, zu Apocalyptica oder Him.

Der finnischen Musik haben Sie sich also noch nicht ganz entfremdet?

Nein, nein (lacht).