: Digitale Braut
Hau drauf: Rossinis modernisierte frühe Oper „Gelegenheit macht Diebe“ im Saalbau Neukölln bietet vor allem Slapstick und absurden Klamauk
Solange aus dem Orchestergraben die Ouvertüre erklingt, flimmert auf einem an einer Wäscheleine aufgespannten Bettlaken ein kleiner, witziger Film, der den Zuschauern zwei Informationen mit auf den Weg in diesen Abend gibt. Zum einen: Bei Parmenione (Konstantin Heintel) und seinem Diener Martino (Roman Grübner) haben wir es mit zwei ausgekochten Schlitzohren und Kleinkriminellen zu tun. Zum anderen: Das Humorverständnis dieser Inszenierung basiert auf Slapstick und absurdem Klamauk. In Sirko Knöpfers Videoeinspielung überfallen Herr und Diener einen italienischen Feinkostladen und treten mit prall gefülltem Einkaufsrolli die Flucht an. Die wilde Verfolgungsjagd endet mit dem letzten Ton des musikalischen Vorspiels an der Eingangstür zum Saalbau Neukölln.
Der Einakter „Gelegenheit macht Diebe“ ist ein Auftragswerk, das der gerade erst zwanzigjährige Gioacchino Rossini 1812 in knapp zwei Wochen für einen venezianischen Theaterimpresario komponierte. Das Libretto dazu ist eine flott erzählte, letztlich leicht vorhersehbare Verwechslungskomödie. Immerhin: Wenn gleich zwei vorgeben, jeweils ein anderer zu sein, sind die Kombinationsmöglichkeiten vertauschter und missverstandener Identitäten entsprechend höher. Weil der gewitzte Parmenione an die Papiere seiner Zufallsbekanntschaft Alberto gelangt, der auf dem Weg zu seiner Braut ist, gibt er sich als ebenjener Alberto aus, um selbst die junge Frau vor den Traualtar zu führen. Dumm nur, dass Berencie (Olga Peretyatko) ihrerseits die Rolle mit ihrer Dienerin (mit großer stimmlicher Präsenz: Annerose Hummel) getauscht hat.
Der schlichte Plot genügte dem Librettisten Luigi Prividali, um in den knapp zwei Stunden Spieldauer ausreichend echte und vorgebliche Liebesschwüre, Intrigen, Gefühlsentladungen und andere Offenbarungen im Stück unterzubringen. Dass derlei simpel gestrickte Muster zwar zu den Grundbausteinen der Komödie gehören und deshalb in gewisser Weise auch zeitlos, aber deshalb nicht unbedingt mehr automatisch komisch sind, hat auch Regisseur Florian Lutz erkannt. Deshalb interpretiert er in dieser freien, mit Mitteln des Hauptstadkulturfonds finanzierten Produktion den Dreh- und Angelpunkt – die arrangierte Ehe zweier sich bislang fremder Brautleute – neuzeitlich um.
Aus Berenice wird eine junge Russin, die sich per Internet und Videobekanntschaftsanzeige einen Mann aus dem Westen und damit die Eintrittskarte in ein besseres Leben sucht. Eine schöne Idee, aber, wie es so oft bei Klassikern vorkommt, denen man eine moderne Lesart überstülpt: Sie trägt nicht bis zum Ende. Rossinis Harmlosigkeit taugt dann doch nur wenig für eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem digitalen Heiratsmarkt, dem modernen Frauenhandel und der Ehe als Flucht aus der Armut.
Wohl deshalb ist die Inszenierung denn auch sehr schnell wieder beim Klamauk. So wird etwa frei nach dem Loriot-Sketch „Das Bild hängt schief“ vom tollpatschigen Heiratsschwindler kurzerhand das kleine Eigenheim – ein trashig eingerichteter Wohnwagen – in Stücke zerlegt. Diener Martino angelt sich mittels eines zerschlissenen Violinenbogens Instrumente aus dem Orchestergraben und ängstigt sich vor einem batteriebetriebenen Hummer. Und das Duell zwischen dem echten und dem vorgeblichen Bräutigam wird vor Westernkulisse und Pappkaktus mit Spielzeugpistolen ausgefochten.
Das alles ist bisweilen tatsächlich komisch, in jedem Falle kurzweilig, meist aber eben doch nur albern. In leider allzu wenigen Szenen – etwa wenn Olga Peretyatko ihre große Koloraturarie singt und stimmlich wirklich große Oper, zugleich aber auch eine Parodie der Operndiva liefert – verzichtet die Inszenierung auf den prallen Hau-drauf-Humor. Dann gelingen plötzlich auch feinsinnige, doppelbödige Momente. Das Linos-Kammerorchester unter der Leitung von Marco Comin spielt Rossinis Kompositionen mit einer solch federnden Leichtigkeit, dass die älteren Damen im Publikum sacht ihre frisch dauergewellten Häupter im Takt schwenken und sich sichtlich am Belcanto der Sopranistin erfreuen. Dass diese ihre Funktion als Primadonna einerseits perfekt bedient, zugleich aber auch selbstironisch bricht, ist ein Detail, das den beiden Opernliebhaberinnen vielleicht entgeht, das aber den Kunstgenuss dieses Abends auch in keiner Weise beeinträchtigt.
AXEL SCHOCK
Heute, 16., 18. und 19., jeweils 20 Uhr, Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Str. 141