: Marsch gegen die Mühlen
Rund um die Kreuzberger Clara-Grunwald-Grundschule wollen Eltern und Pädagogen ein Montessori-Zentrum aufbauen. Das könnte vieles in die Praxis umsetzen, was Bildungsreformer derzeit fordern. Doch letztlich könnte der Plan am Bezirk scheitern
VON SABINE AM ORDE
Christoph Klein versteht die Welt nicht mehr. „Jetzt wäre die Chance, die Schule mitsamt der Nachmittagsbetreuung voranzubringen“, sagt er. „Und das ist doch angeblich der Grund für das Ganze.“ Damit meint der engagierte Vater die große Umstrukturierung, die den Grundschulen der Stadt bevorsteht. Vom kommenden Schuljahr an sollen sie für die Nachmittagsbetreuung der Kinder zuständig sein. So wollen es das neue Schulgesetz und das Reformpaket von SPD-Bildungssenator Klaus Böger. Doch Klein hat inzwischen Zweifel daran, dass die Umstrukturierung wirklich zu pädagogischen Fortschritten führt.
Seine Tochter geht in die erste Klasse der Kreuzberger Clara-Grunwald-Grundschule, nachmittags wird sie im Schülerladen betreut. Die Schule in der Halleschen Straße hat sich vor zwölf Jahren entschieden, nach der Montessori-Pädagogik zu arbeiten. Sie hat großen Erfolg damit: Die zweizügige Lehranstalt mit 300 SchülerInnen, die altersgemischt arbeitet, muss jedes Jahr Kinder ablehnen, weil der Platz nicht reicht. Auch Klein hat seine Tochter wegen der Montessori-Pädagogik hier angemeldet.
Als bekannt wurde, dass es eine Umstrukturierung der Nachmittagsbetreuung geben soll, hatten er und andere Eltern eine Idee. Sie wollen in der Halleschen Straße ein Montessori-Zentrum für Kinder bis zum Ende der Grundschulzeit gründen: mit Grundschule und einem offenen Ganztagsbetrieb für die Erst- bis Viertklässler. Auch Kitakinder sollen aufgenommen werden; die Fünft- und Sechstklässler, für die im Normalfall gar keine Angebote vorgesehen sind, sollen in den nahen Schülerläden betreut werden. Die sollen Lernwerkstätten heißen und ebenfalls nach dem Konzept der italienischen Reformerin arbeiten, bei dem die Selbstständigkeit im Mittelpunkt steht.
Die Idee schlug ein. Eltern, LehrerInnen und ErzieherInnen aus den umliegenden Einrichtungen erarbeiteten ein Konzept. „Die Motivation war sehr groß“, sagt Lehrerin Ursula Klug. „So intensiv haben wir vorher noch nie mit den Eltern zusammengearbeitet.“ Die Schulleiterin unterstützte die Idee. Schließlich sprach sich auch die Schulkonferenz einstimmig dafür aus. Man machte sich auf die Suche nach Sponsoren und Stiftungen. Denn allen war klar: Viel Geld wird vom Bezirk nicht fließen. Nach dem Willen der LehrerInnen, Eltern und ErzieherInnen könnte also ein Projekt entstehen, das vieles von dem realisiert, was derzeit in Sachen Bildungsreform gefordert wird: eine Schule mit Profil, die Verzahnung des Unterrichts und der Betreuung am Nachmittag, eine bessere pädagogische Arbeit in der Kindertagesstätte, die Einbeziehung der Eltern, die Ausstrahlung in den Kiez. „So etwas braucht Kreuzberg doch“, meint Klein.
Das sehen auch die meisten BildungspolitikerInnen im Bezirk so. „Egal wo wir aufgetaucht sind: Unser Konzept wurde gelobt“, berichtet der Vater. Doch dann wurden Vorwürfe laut, von anderen Schulen und sogar aus dem Bezirksamt: „Montessori sei elitär und ausländerfeindlich – so könnte man die Kritik kurz zusammenfassen“, sagt Klein. Dabei gehe es nicht um den pädagogischen Ansatz, sondern darum, wen man damit erreicht. Und das sind meist deutsche Mittelschichtseltern. An der Clara-Grunwald-Grundschule liegt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund bei 35 Prozent, an den Nachbarschulen dürfte er doppelt so hoch sein.
Lehrerin Ursula Klug weist Vorwürfe dieser Art weit von sich. Zwar räumt sie ein, dass es schwer sei, türkischen und arabischen Eltern die Montessori-Pädagogik nahe zu bringen. „Aber das ist doch genau ein Grund dafür, früher damit anzufangen.“ An der Clara-Grunwald-Schule seien „ganz normale Kreuzberger Kinder“. 85 Prozent der SchülerInnen kommen aus dem Bezirk. Und es könnte durchaus sein, dass noch viel mehr deutsche Mittelschichtsfamilien Kreuzberg verlassen würden, gäbe es Einrichtungen wie die Montessori-Schule nicht. Sie darf, weil sie eine Schule „besonderer pädagogischer Prägung“ ist, wie es im Fachjargon heißt, nicht nur Kinder aus ihrem Einzugsbereich aufnehmen, sondern aus der ganzen Stadt.
Der Vorwurf soll auch von der zuständigen SPD-Jugendstadträtin Sigrid Klebba gekommen sein, hört man im Umfeld der Schule. Klebba selbst weist das strikt zurück. Ihr Okay bekommt das Montessori-Zentrum dennoch nicht. Für sie steht aber ein anderes Problem im Mittelpunkt: Die Stadträtin muss die Verlagerung der Horte an alle Grundschulen in ihrem Bezirk organisieren. Und – als Folge – den Umzug zahlreicher Kitas in der Nähe der Schulen, wenn Räume für die Nachmittagsbetreuung gebraucht werden. Denn die meisten Grundschulen haben für einen Ganztagsbetrieb schlicht nicht genug Platz.
Direkt neben der Clara-Grunwald-Grundschule liegt eine Kita, die nach Klebbas Plänen umziehen soll. Hier wäre Platz für ein Montessori-Kinderhaus, in dem auch Kitakinder betreut werden können. Denn in der Schule selbst gibt es auch noch freie Kapazitäten.
Doch die Kita soll, so will es die Stadträtin, künftig nicht nur die Kinder der Clara-Grunwald-Grundschule beherbergen, sondern auch jene der Fanny-Hensel-Grundschule in der Nachbarschaft. „Für diese Schule haben wir trotz langen Suchens keine andere Lösung gefunden“, sagt Klebba. Dieses Argument scheint auch die meisten BildungspolitikerInnen im Bezirk überzeugt zu haben. „Gutes Konzept, aber leider nicht umsetzbar“, das hört Klein jetzt häufiger – und kann es kaum fassen: „Man kann eine Reform doch nicht rein organisatorisch entscheiden.“
Recht hat er. Zu befürchten ist aber, dass der Jugendhilfeausschuss des Bezirks, der heute Abend über den so genannten Kita-Masterplan und damit auch über die Nachmittagsbetreuung an der Clara-Grunwald-Schule entscheidet, genau das tun wird.