Der grüne Schimmelreiter

Heldenhaft verkündete gestern der Außenminister, er trage „die politische Verantwortung“ für die Visapolitik seines Hauses. Toll! Leider entpuppt sich Fischers feine Geste schnell als leere Phrase

DIE ZITAT-ANALYSE VON ROBIN ALEXANDER

Politische Verantwortung ist der Begriff des Tages. „Für mögliche Versäumnisse und Fehler meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trage ich die politische Verantwortung“ – so lautet die Botschaft von Joschka Fischer, die Agenturen, Sender und Zeitungen gestern und heute als ganz heiße Nachricht verbreiteten. Der Minister übernimmt die politische Verantwortung. Aha.

Was heißt das? „Ich übernehme politische Verantwortung …“, war einmal die klassische Einleitung zu dem stets folgenden Satz: „… und deshalb trete ich zurück.“ Das war zwar grauenhaft klingendes Politchinesisch, ergab aber durchaus Sinn: Verantwortung übernehmen, das bedeutete bisher: für die Folgen geradestehen. Haftung übernehmen. Für etwas einstehen.

Die politische Verantwortung ist gleichzeitig eine Weiterung und eine Einschränkung der gewöhnlichen Verantwortung. Der Verantwortungsbereich des Politikers geht über den des Bürgers hinaus: Ersterer haftet auch für das, was die Apparate tun oder unterlassen, die zu kontrollieren er demokratisch bestellt ist.

Folgenlose Verantwortung

Klassisches Beispiel hierfür ist der CDU-Politiker Rudolf Seiters, der als Innenminister zurücktrat, als bei einem fatal fehlgeschlagenen Polizeieinsatz ein Terrorist starb. Auch die grüne Andrea Fischer übernahm „politische Verantwortung“ für das Versagen von Behörden in der BSE-Krise und trat zurück. Mit dem Rücktritt ist die politische Verantwortung dann auch abgegolten: Straf- oder zivilrechtliche Folgen gibt es nicht.

Fischer hingegen will nicht zurücktreten. Wie widersinnig seine Einlassung daher ist, verraten schon die Worte. Für „mögliche Versäumnisse und Fehler“ muss niemand geradestehen. Fehler sind, wo Menschen arbeiten, immer möglich. Wäre es Fischer ernst, hätte er gesagt: „Wenn Versäumnisse und Fehler geschehen sind, trage ich die Verantwortung.“ Dann freilich hätte er einen Anspruch an sich selbst formuliert. Doch darum ging es ihm augenscheinlich nicht.

Fischers „politische Verantwortung“ zielt nicht auf das Bild des rücktrittsreifen Ministers, sondern auf ein anderes: Er wirft sich in die Pose des mutigen Entscheiders, der potenzielle Folgen seiner Entscheidung auf sich nimmt. „Ich übernehme die politische Verantwortung“ sagte Helmut Schmidt, als er als Hamburger Innensenator 1962 die Bundeswehr grundgesetzwidrig zur Bekämpfung einer Flut einsetzte. Ähnliches galt, als Schmidt bei unklarer Verfassungslage den riskanten Sturm auf das entführte Passagierflugzeug in Mogadischu befahl. Diese Art von politischer Verantwortung meint: Wenn es schief geht, halte ich den Kopf hin.

Den Anschein eines mutigen Entscheiders, der seine Untergebenen entlastet, versucht nun auch Fischer zu erwecken. Das ist schon dreist. Denn Fischers Rolle in der Visa-Affäre ist wahrlich nicht die des aktiven, handelnden Politikers. Im Gegenteil. Er ist in der Defensive: Entweder ist Fischer jemand, der schwere Fehler eingestehen muss (konservative Lesart). Oder jemand, der schwere Angriffen abwehren muss (rot-grüne Lesart).

Eine hohle Pose

Andere haben sich damit politisch auseinander gesetzt: Die Entscheidung für mehr Reisefreiheit und gegen Abschotten sei richtig. Missbrauch sei bedauerlich, aber bei keiner Liberalisierung auszuschließen, hat etwa der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele erklärt. Fischer aber setzt sich politisch nicht mit den Vorwürfen auseinander. Sondern wirft sich in eine heroische Pose. Er schafft sich eine neue, aktive Rolle.

Denn wie geht er mit einer Verantwortung um? Übernimmt er sie? Erkennt er sie an? Akzeptiert er sie? Gibt er sie gar zu? Nein, er trägt sie – und zwar für andere, nämlich „meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Die vorgeblich heroische Haltung wird noch unterstrichen durch eine Redundanz, den völlig überflüssigen Nachsatz: „Ich stelle mich vor meine Mitarbeiter.“

Spätestens hier kippt die Raffinesse und wird zur Anmaßung: Fischer tut, als sei es seine Entscheidung, ob er Kritik auf sich nimmt oder an niedere Chargen delegiert. Tatsächlich kann er sich gar nicht heldenhaft vor seine Mitarbeiter stellen, denn dort steht er sowieso. Diese Position ist seine ureigene.

Ein Minister verantwortet die Politik seines Hauses, auch die Erlasse seiner Referenten. Das ist so. Fischers bedeutungsschwangerer Satz entpuppt sich also als klassische Tautologie wie „Der Schimmel ist weiß.“