: NEUES AUS NEUSEELAND: WAS WILL UNS TYSONS TATTOO SAGEN?
VON ANKE RICHTER
Als Mike Tyson das letzte Mal beschloss, sich wieder unter die Nadel zu legen, hatte er bereits Che Guevara, Mao Tse-tung, einen Drachen, Tennisspieler Arthur Ashe und Ex-Frau Monica Turner auf diversen Körperteilen verewigt. Viel Platz blieb da nicht mehr übrig. Jetzt war die berühmte Brauenpartie dran. Tyson ließ sich ein hübsches Muster ums linke Auge sticheln. Als „afrikanisch“ wurde die Gesichtsverzierung anfangs interpretiert, dann hin zu „maoriisch“ korrigiert. Die berühmten Tätowierungen der Ureinwohner Neuseelands sollen Pate gestanden haben. Damit lag der Boxer voll im Trend: Auch Robbie Williams, Lara Croft und Ben Harper trugen ein „Moko“ zur Schau, wenn auch unterhalb des Kopfes. Tysons Augenumrankung drängt sich jetzt, nachdem er gerade zum dritten Mal geheiratet hat, wieder ins Blickfeld. Und wir fragen uns: Wie lebt es sich damit, ein international bekannter Kulturräuber zu sein?
Andere mögen sich angesichts der Blitzhochzeit ganz andere Dinge fragen. Zum Beispiel, wie jemand, der seine vierjährige Tochter durch einen tragischen Todesfall verloren hat, bereits zehn Tage später in einer Hochzeitskapelle in Las Vegas einfallen kann. Aber dafür gibt es eine Erklärung. Dass der Prügelknabe seiner Lakiha Spicer inmitten all der Trauer so spontan das Jawort gab, ist angelehnt an eine alte chinesische Sitte: Auf einen Todesfall in der Familie muss so schnell wie möglich eine Hochzeit folgen. Nun sind weder Mike noch Lakiha aus China, aber egal. In der Anwendung fremder ethnischer Sitten ist der Boxer mindestens so sehr Profi wie in seinem Sport. In Neuseeland hat sein sichtbarstes Tattoo Mike Tyson keine neuen Fans eingebracht. Denn wer die Kunst des Moko ernst nimmt, weiß: Das darf man nur tragen, wenn sich darin Stamm und Herkunft widerspiegeln und es von einem Maori-Ältesten abgesegnet ist. Gar nicht gut kam daher die Ausgabe der Vogue an, in der Jean-Paul Gaultier vor zwei Jahren seine Models mit schwarzen Gesichtsbemalungen antreten ließ. Die wirkten zwar landläufig polynesisch, lagen aber bei näherer Betrachtung voll daneben. Und zwar nicht nur, weil die Muster auf der weißen Haut blonder Jünglinge prangten.
Wann immer irgendwo auf der Welt Maori-Mäßiges verkitscht wird, meldet sich ein Anwalt oder Akademiker aus Wellington zu Wort und erhebt Anklage auf „geistiges Eigentum“. Zuletzt geschehen, als eine findige Firma Matruschka-Puppen produzierte, die sich als Maori-Figürchen ineinanderstecken lassen. Da stand mal wieder das Kulturerbe Aotearoas auf der Kippe – fast so schlimm wie damals vor elf Jahren, als die Spice Girls vor einem Konzert in Bali den Haka aufführten, um das Publikum mit kriegerischem Gehopse einzustimmen.
Besonders gelassen im Umgang mit Maori-Symbolen hat sich Jimmy Carter gezeigt. Beim 50. Geburtstag der UN wurde ihm ein amerikanischer Junge mit neuseeländischer Abstammung vorgestellt, der sich für eine Maori-Tanzaufführung das Gesicht täuschend echt als Moko bemalt hatte. Carters Kommentar dazu: „Nice paint job.“