: Nur gute Menschen schreiben gute Bücher
NACHKRIEGSZEIT Die Ausstellung „Doppelleben“ erzählt eine etwas zu stimmige Gründungsgeschichte des deutschen Literaturbetriebs
VON WIEBKE POROMBKA
Letztlich ist es eine Geschichte über das Gute der Literatur, die hier erzählt wird, eine Geschichte nicht ohne Schattenseiten natürlich. Schließlich geht es um jene Autoren und Akteure, die die literarische Landschaft in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg prägten: Autoren, die während der Nazizeit auf je eigene Weise mit dem Regime in Konflikt oder aber in Kontakt geraten waren. Eine Gründungsgeschichte des heutigen Literaturbetriebs ist es also, die man zunächst in Berlin, dann auf weiteren Stationen anschauen kann; sie unterscheidet zwischen guter Literatur, die von moralisch integren Autoren geschrieben wird, und schlechter Literatur, deren Autoren sich schon mal in den politischen Fallstricken der Zeit verfangen. Zu gern würde man diese Geschichte glauben. Wenn sie nicht ein bisschen zu stimmig wäre.
Am Anfang steht die Debatte, die sich zwischen Emigranten und denen entspann, die in Deutschland geblieben waren. Das Unheilvolle von Kontinuitäten wird an zwei „Drahtziehern“ des Betriebs vorgeführt, an dem ehemaligen Expressionisten Kasimir Edschmid und an Frank Thiess – von ihm stammt die berühmte Selbstrechtfertigungsformel der „Logen und Parterreplätze des Auslands“, von denen man „der deutschen Tragödie“ zugeschaut habe und die allen voran auf Thomas Mann und Alfred Döblin gemünzt war. Nahezu bruchlos konnten Thiess und Edschmid, die während der NS-Zeit durchaus auf Tuchfühlung mit dem Regime gegangen waren, ihre Karrieren nach dem Krieg fortsetzen. Edschmid wurde 1949 Generalsekretär des P.E.N., Thiess Vizepräsident der neugegründeten Akademie für Sprache und Dichtung.
Was in der Ausstellung noch als dem Format geschuldete Simplifizierung durchgehen könnte, wird im Begleitband zum Prinzip. Über allem schwebende These ist: Es gibt ästhetisch anspruchsvolle Literatur mit sperrigen, oft öffentlichkeitsscheuen Autoren wie Wolfgang Koeppen oder Arno Schmidt, die Kurator Helmut Böttiger und sein Mitarbeiter Lutz Dittrich schätzen. Und es gibt das, was Böttiger schon mal einen „Schmachtfetzen“ nennt, stilistisch eklektizistische und inhaltlich dem Zeitgeist verhaftete Bücher. Wenig überraschend, dass sich bei Autoren wie Edschmid und Thiess, die Böttiger zur letzteren Kategorie zählt, der politische Opportunismus mit der Mittelmäßigkeit ihrer Bücher trifft.
Bei Autoren, die nach Böttiger in den Kanon der Hochkultur zählen sollten, wird dagegen auch politisch überwiegende Unfehlbarkeit suggeriert. Über Günter Eich etwa, der als wohl konsequentester Vertreter der Kahlschlagliteratur 1950 mit dem ersten Preis der Gruppe 47 ausgezeichnet wurde, liest man zunächst nur, dass er etablierter Hörspielautor sei. Dass die Hörspiele, die Eich unter den Nazis produzierte, durchaus regimekonform waren, wird abwiegelnd und fast verschämt nachgereicht. Gleiches gilt für die Frage seiner Parteimitgliedschaft. Gottfried Benns anfänglicher Enthusiasmus für die Nazis ist zu bekannt, als dass man ihn aussparen könnte, seine Zeit als Oberstabsarzt der Wehrmacht wird aber unkommentiert als die von Benn selbst so apostrophierte „aristokratische Emigration“ stehen gelassen. Der rechtskonservative Kritiker Friedrich Sieburg – einer der Ersten, die Benn nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem lobenden Artikel würdigten – wird mit einem schwer nachvollziehbaren Krawums-Gestus als „alter Recke aus der wandelbaren deutschen Publizistik“ eingeführt. Und das patriarchalische Walten, mit dem Hans Werner Richter die Gruppe 47 etablierte, scheint nicht einmal der Erwähnung wert.
Was Ausstellung und Begleitband versäumen oder mit kalkulierter Ungenauigkeit behandeln, holt teilweise der zweite Band nach, der sich „Materialien zur Ausstellung“ nennt. In einer bunten Mixtur kommen dort Literaturwissenschaftler und zeitgenössische Autoren zu Wort, die zumindest darauf hinweisen, dass auch jemand wie Alfred Andersch durchaus streitbar ist.
Dass diese beiden Bände sich ergänzen, könnte versöhnlich stimmen. Ärgerlich aber bleibt, dass die Ausstellungsmacher mit einer Doppelbödigkeit arbeiten, die sie doch gar nicht nötig haben sollten, wenn die Geschichte stimmt, die sie erzählen: Dass nämlich gute und wahre Literatur zwar den Untergang des Humanismus nicht verhindern kann, sich aber doch – genau wie ihre Macher – inhaltlich und ästhetisch widerständig gebärdet.